15|05|2019 – Gut gelaunt am sechzigsten Trächtigkeitstag
15|05|2019 – Gut gelaunt am sech­zigs­ten Trächtigkeitstag

Ein Spaziergang am sechzigsten Trächtigkeitstag – und was es über eine hochschwangere Border Collie Hündin außerdem noch zu berichten gibt …

Ich sehe sie schon von wei­tem. Die hohen Tan­nen am Wald­rand lie­gen noch im Schat­ten, ihr brau­nes Fell leuch­tet davor gol­den im Mor­gen­licht. Sie hebt den Kopf, läuft ein paar Schrit­te, beginnt dann wie­der zu gra­sen, wagt sich wei­ter auf das Feld, wei­ter fort vom Wald und dem Gins­ter­di­ckicht. Was dahin­ter liegt, viel­leicht dort war­tet, erken­ne ich nicht, möch­te es aber auch nicht den Hun­den über­las­sen, es vor mir zu erken­nen. Ich blei­be also ste­hen und rufe die Hun­de her­an – alle bis auf Ellie, die ohne­hin ange­leint und im lang­sa­men Schritt neben mir her gelau­fen ist –, las­se die Kara­bi­ner der Lei­nen einen nach dem ande­ren kli­cken, und bli­cke ange­strengt zum Wald hin­über. »Wo eine Ricke ist«, den­ke ich, »wird das Kitz im Mai nicht weit sein«. Dann geht es wei­ter – quer durch die Sen­ke, in der nach dem Regen der ver­gan­ge­nen Tage ein Bach aus der feuch­ten Wie­se quillt, wei­ter über den Pfad, der sich um wind­schie­fe Tan­nen win­det, immer wei­ter, auf den Wald­rand zu. Die Reh­kuh habe ich längst aus den Augen verloren.

Es ist kaum halb acht, als ich mich mit den Hun­den kurz auf der Bank nie­der­las­se, die am Wald­rand das wei­te Feld über­blickt. Ellie scheint dank­bar für die Pau­se – aber auch am sech­zigs­ten Tag ihrer Träch­tig­keit hält sie noch gut mit mir Schritt. »Eine Geburt ist anstren­gend«, sage ich zu der träch­ti­gen Hün­din, »da kann eine gute Kon­di­ti­on nicht scha­den«. Die Hün­din selbst zeigt sich davon wenig beein­druckt, ist viel mehr dar­an inter­es­siert, den Inhalt mei­ner Jacken­ta­sche zu erkun­den, der abge­se­hen von Schlüs­sel und Feu­er­zeug aber bloß einen ver­trock­ne­ten Rest Fut­ter beschreibt. »Wenn es nach dei­nem Appe­tit geht«, sage ich, »dann haben wir noch ganz schön viel Zeit«, und muss dabei nicht nur an die gro­ße Scha­le mit Quark, Har­zer Käse und Ei den­ken, die Ellie gleich nach dem Auf­ste­hen mit has­ti­gen Bis­sen ver­schlun­gen hat, son­dern auch an die bei­den älte­ren Hün­din­nen, die das Fres­sen bei ihren frü­he­ren Wür­fen spä­tes­tens am Vor­tag der Geburt ganz ein­ge­stellt hat­ten. »Frü­hes­tens Frei­tag, viel­leicht auch noch spä­ter«, sage ich, »und so lan­ge läufst du auch noch wei­ter mit«. Auf Spa­zier­gän­ge ver­zich­tet habe ich in der Ver­gan­gen­heit immer erst dann, wenn sich bei den täg­li­chen Mes­sun­gen der Hün­din ein Absin­ken der Tem­pe­ra­tur bemerk­bar gemacht hat – und bei Ellie fehlt auch am sech­zigs­ten Tag davon noch jede Spur, zeigt das Ther­mo­me­ter kon­stant 38 Grad. »Wir wer­den sehen«, sage ich und streich­le der Hün­din, die von mei­ner Jacken­ta­sche abge­las­sen und sich vor mir auf den Rücken gewor­fen hat, den Bauch. Und dann füh­le ich es.

Und dann sehe ich es. Kaum hun­dert Meter wei­ter tritt die Ricke wie­der aus dem Wald her­aus, ein win­zi­ges Kitz folgt ihr mit wack­li­gen Schrit­ten. »Man­ches muss man gar nicht gese­hen haben«, den­ke ich bei mir, »bei man­chem weiß man ein­fach, dass es da ist«.

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