Ein Spaziergang am sechzigsten Trächtigkeitstag – und was es über eine hochschwangere Border Collie Hündin außerdem noch zu berichten gibt …
Ich sehe sie schon von weitem. Die hohen Tannen am Waldrand liegen noch im Schatten, ihr braunes Fell leuchtet davor golden im Morgenlicht. Sie hebt den Kopf, läuft ein paar Schritte, beginnt dann wieder zu grasen, wagt sich weiter auf das Feld, weiter fort vom Wald und dem Ginsterdickicht. Was dahinter liegt, vielleicht dort wartet, erkenne ich nicht, möchte es aber auch nicht den Hunden überlassen, es vor mir zu erkennen. Ich bleibe also stehen und rufe die Hunde heran – alle bis auf Ellie, die ohnehin angeleint und im langsamen Schritt neben mir her gelaufen ist –, lasse die Karabiner der Leinen einen nach dem anderen klicken, und blicke angestrengt zum Wald hinüber. »Wo eine Ricke ist«, denke ich, »wird das Kitz im Mai nicht weit sein«. Dann geht es weiter – quer durch die Senke, in der nach dem Regen der vergangenen Tage ein Bach aus der feuchten Wiese quillt, weiter über den Pfad, der sich um windschiefe Tannen windet, immer weiter, auf den Waldrand zu. Die Rehkuh habe ich längst aus den Augen verloren.
Es ist kaum halb acht, als ich mich mit den Hunden kurz auf der Bank niederlasse, die am Waldrand das weite Feld überblickt. Ellie scheint dankbar für die Pause – aber auch am sechzigsten Tag ihrer Trächtigkeit hält sie noch gut mit mir Schritt. »Eine Geburt ist anstrengend«, sage ich zu der trächtigen Hündin, »da kann eine gute Kondition nicht schaden«. Die Hündin selbst zeigt sich davon wenig beeindruckt, ist viel mehr daran interessiert, den Inhalt meiner Jackentasche zu erkunden, der abgesehen von Schlüssel und Feuerzeug aber bloß einen vertrockneten Rest Futter beschreibt. »Wenn es nach deinem Appetit geht«, sage ich, »dann haben wir noch ganz schön viel Zeit«, und muss dabei nicht nur an die große Schale mit Quark, Harzer Käse und Ei denken, die Ellie gleich nach dem Aufstehen mit hastigen Bissen verschlungen hat, sondern auch an die beiden älteren Hündinnen, die das Fressen bei ihren früheren Würfen spätestens am Vortag der Geburt ganz eingestellt hatten. »Frühestens Freitag, vielleicht auch noch später«, sage ich, »und so lange läufst du auch noch weiter mit«. Auf Spaziergänge verzichtet habe ich in der Vergangenheit immer erst dann, wenn sich bei den täglichen Messungen der Hündin ein Absinken der Temperatur bemerkbar gemacht hat – und bei Ellie fehlt auch am sechzigsten Tag davon noch jede Spur, zeigt das Thermometer konstant 38 Grad. »Wir werden sehen«, sage ich und streichle der Hündin, die von meiner Jackentasche abgelassen und sich vor mir auf den Rücken geworfen hat, den Bauch. Und dann fühle ich es.
Und dann sehe ich es. Kaum hundert Meter weiter tritt die Ricke wieder aus dem Wald heraus, ein winziges Kitz folgt ihr mit wackligen Schritten. »Manches muss man gar nicht gesehen haben«, denke ich bei mir, »bei manchem weiß man einfach, dass es da ist«.
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