Jeder Hund ist anders – und kein Mensch perfekt. Was der eine vom anderen lernen kann – und warum die letzte Lektion zugleich die schönste und traurigste ist.
© Text und Bild: Johannes Willwacher
Jeder Hund, der in dein Leben tritt, hat eine Aufgabe. Eine, die nur er dich lehren kann. Er wird nicht fragen, was du dir gewünscht hast, sich nicht dafür entschuldigen, dass er ist, wie er ist. Er wird dir vielmehr bewusst machen, dass es an dir ist, seine Aufgabe anzunehmen – zu schauen, was dir noch fehlt, was du noch lernen musst –, und an ihr zu wachsen.
Bist du zu nachlässig, schenkt das Leben dir einen Hund, der dich Achtsamkeit lehrt – einen, der es nicht duldet, dass du mit deinen Gedanken abschweifst, dich abwendest und die Aufmerksamkeit verlierst. Einen, der jedem Hasen nachjagen und jeden Radfahrer stellen will. Bist du zu überheblich, wird jener Hund dich Demut lehren – dich bangen, weinen und zweifeln lassen, dir schlaflose Nächte und Sorgen bereiten –, und dich vielleicht verstehen lassen, dass nichts Gutes nur gut, dass auch das kleinste Glück nicht selbstverständlich ist. Bist du zu aufbrausend, verlangt dir jener Hund Mäßigung ab – dich zu zügeln, die Worte besser zu wählen, zu hinterfragen, was du tust. Den Mund zu halten, wenn du schreien willst – das Laute durch das Leise zu ersetzen –, und anstelle von Körperlichkeit und Stärke dein Herz und deinen Verstand einzusetzen. Mehr Mut und Selbstvertrauen, mehr Geduld, Nachsicht und Bescheidenheit – es gibt so vieles, das dir der falsche Hund zur rechten Zeit beibringen kann.
Aber selbst, wenn du das Glück hast, diesem einen Hund zu begegnen – dem Seelenhund, den jeder nur einmal im Leben trifft – wird auch er dich irgendwann die letzte Lektion lehren: Abschied zu nehmen, ihn gehen zu lassen – und den Platz an deiner Seite an einen anderen Hund zu verschenken. Weil ein Hundeleben allein nicht genügt, um einen Menschen alles zu lehren. Weil ein Hundeleben kurz ist – und ein Mensch verdammt viel mehr zu lernen hat.
© Johannes Willwacher