Wir hören Musik. Über gute, schlechte und extrem nervtötende Platten. Und was das mit Hunden zu tun hat.
Vor einigen Wochen habe ich begonnen, den Plattenschrank aufzuräumen. Vielleicht, weil das Jahresende die beste Zeit ist, um in Erinnerungen zu schwelgen, vielleicht aber auch, weil man oftmals nichts mit sich anzufangen weiß, wenn die Abende länger werden. Ich habe also einmal alles auf links gedreht – mit den Singles von A-ha angefangen und mit einer verkratzten Aufnahme von »She’s Not There« der Zombies von 1964 aufgehört –, die Platten von New Order zwischen die von Neil Young und Nina Simone sortiert, mich gefragt, ob es mehr Sinn machen würde, nicht alphabetisch, sondern nach Genre vorzugehen, und es schlussendlich beim Alphabet belassen. Nun stehen die Dylan’s und Marley’s also dem Vornamen nach wieder nebeneinander, folgt Prince auf Portishead, und ist dazwischen noch ausreichend Platz für die ganzen angesammelten Peinlichkeiten, an die man nicht gerne erinnert wird – über die man lieber nicht laut redet.
Eine davon stammt, so wie vieles, das mir heute peinlich ist, aus den neunziger Jahren – ich muss damals fünfzehn oder sechzehn Jahre alt gewesen sein –, und zeigt auf dem Cover drei mittelalte Herren, die die gleichen Anzüge und Sonnenbrillen tragen: »Over My Shoulder« von Mike and the Mechanics. Während es in meiner Plattensammlung zwar zweifelsohne Schlimmeres gibt – wer in den neunziger Jahren aufgewachsen ist, den muss ich vielleicht nur an »Come on Barbie, let’s go party« erinnern –, ist das Schlimme an besagtem Titel allein, dass er sich nach dem Abspielen zuverlässig im Gehörgang festsetzt und dort für Tage sitzen bleibt. Musik wie Zahnschmerzen: man wird sie nicht mehr los.
Das kennen auch unsere Hunde – und so genügen mittlerweile schon die ersten beiden, bloß gehauchten Zeilen von Adele’s »Hello« (… it’s me), um während einer Autofahrt ein mehrstimmiges Protestkonzert im Kofferraum zu provozieren. Gleiches gilt für »What’s Up?« von den 4 Non Blondes oder »Total Eclipse of the Heart« von Bonnie Tyler – die ersten Takte erklingen und schon heulen die vier Border Collies mit einer Inbrunst, die einem das Trommelfell vibrieren lässt: »Mach’ das aus!« Ob es dabei nur der Nervfaktor ist, den alle besagten Stücke nach mehrmaligem Hören gemein haben, oder aber mein Gesang, der sich im Auto weder vermeiden, noch überhören lässt, sei einmal dahingestellt: man wechselt besser den Sender, wenn man nicht mit Wolfsgeheul durch den Ort fahren will. Auf dem anderen Sender läuft dann gerade mit ziemlicher Sicherheit Boney M. (»Brown Girl in the Ring, tra la la la la …«). Man wird sie nicht mehr los.
Vielleicht haben Hunde und Platten das gemeinsam: was man hat, das hat man – und lieber mehr als nötig. Und selbst wenn man sich für Manches gerne einmal schämt, gehören doch auch die Peinlichkeiten irgendwie dazu: »… wie mein Name an der Tür …«.
Looking back, over my shoulder – den besagten Ohrwurm habe ich auch den Besitzern unserer Nachzuchten für das diesmalige Foto des Monats zum Thema gegeben. Ich finde nicht nur, dass sich die Ergebnisse sehen lassen können, sondern der Ohrwurm selbst dadurch gleich viel erträglicher geworden ist: schön!
© Johannes Willwacher