Einen Hund zu haben, heißt Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht auch für das Unvorhersehbare? Über letzte Dinge, die nicht zuletzt bedacht werden wollen.
Ich laufe voraus, die Leinen von Nell und Ida in der linken Hand, Dirk folgt mit den beiden anderen Hunden nach, und fast fünf Minuten sagt niemand ein Wort. Es ist früh am Sonntagmorgen, die Sonne hinter einem Dunststreifen verborgen, ein frischer Wind weht uns entgegen, als wir aus dem Wald heraus auf den geteerten Feldweg treten. »Ich verstehe ehrlich nicht, warum du sagst, das man sich darüber auch später noch Gedanken machen kann«, sage ich schliesslich und schüttle zur Bekräftigung den Kopf, »wenn es erst einmal so weit ist, muss an so viele andere Dinge gedacht werden, ist so wenig Zeit … und wer weiß, ob die Entscheidung, die ich, du … die irgendwer dann treffen muss, auch im Sinne des anderen wäre«. Dann herrscht wieder Stille, sind es nur die schwachen Geräusche, die von weit her über das Feld klingen, auf dem der Wind die Weidegräser wogen lässt, und dann und wann ein zwitschernder Vogel, der durch die Stille schneidet. »Und was, wenn es nicht nur einen betrifft … wenn wir beide … ich meine, so ein Unfall ist schnell passiert«, sage ich endlich, »wer soll dann entscheiden, was aus den Hunden wird?«
Auch wenn es die kurze Lebensspanne unserer Hunde viel wahrscheinlicher macht, dass wir im Laufe unseres Lebens nicht nur einen auf seinem letzten Weg begleiten, ist es an diesem Morgen doch die gegenteilige Frage, die mich umtreibt: was, wenn die Hunde uns überleben? Überlässt man die Entscheidung den Hinterbliebenen und vertraut darauf, dass sich schon irgendwo der richtige Platz für die Vierbeiner finden wird, oder trifft man besser vorsorgliche Absprachen mit Freunden, der Familie oder guten Bekannten, damit im Fall der Fälle für die Hunde gesorgt ist? Hört die Verantwortung, die man für ein Tier übernimmt, mit dem eigenen Tod auf? Oder dauert sie an?
Die meisten Hundebesitzer haben sehr genaue Vorstellungen davon, wie sich der Abschied von ihrem Hund gestalten wird – auch wenn die wenigsten gerne darüber sprechen. Der Vierbeiner soll nicht länger als nötig leiden, soll einen würdevollen, schmerzfreien Tod sterben dürfen – und wenn man es dem Wunschdenken überlässt, auch noch ein letztes Mal unbeschwert am Strand und durch die Wellen toben dürfen. Das Bild, das man angesichts der eigenen Endlichkeit entwirft, ist aber vergleichsweise unscharf – vielleicht, weil man sich noch weniger damit auseinandersetzen will –, und wird vielen bloß ein Schulterzucken entlocken. »Darüber kann ich mir auch später noch Gedanken machen«, sagte er und lief vor das nächste Auto.
Gerade wer jung ist, verschwendet wenig Gedanken daran, seinen Nachlass zu regeln. Haustiere werden nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch zwar nicht als Sachen angesehen, die für Sachgüter geltenden Vorschriften finden hier aber dennoch Anwendung, so dass Hunde im Erbfall wie alle übrigen Gegenstände zum Nachlass gehören – und dementsprechend testamentarisch abgesichert werden sollten. Wer sicherstellen möchte, dass der geliebte Hund auch nach dem eigenen Tod gut versorgt ist, sollte also in einer letztwilligen Verfügung eindeutige Vorkehrungen treffen und eine bestimmte Person zur Pflege einsetzen – mündliche Absprachen allein sind niemals bindend und garantieren nicht, dass das Tier nicht doch zu seinem Nachteil weitergegeben wird oder im Tierheim landet. Wo weder Freunde noch Verwandte geeignet erscheinen, kann vielleicht auch der Züchter des Hundes der geeignete Ansprechpartner sein. Aber wie verfährt man als Züchter selbst? Hier geht es schliesslich nicht nur um einen, sondern um eine größere Anzahl von Hunden – und im schlechtesten Fall auch um den einen oder anderen Welpen, der versorgt werden muss.
Also reden wir als wir den Parkplatz erreichen. Wir reden, als wir den Blinker setzen und auf die Bundesstraße einbiegen. Und reden noch immer, als wir zuhause angekommen sind. Über Menschen und Möglichkeiten, Maßnahmen, die ergriffen werden sollten, über die Hunde und die Zucht. Es wird kurz laut und dann wieder ganz leise. Und am Ende steht doch nur ein Fragezeichen.
Der letzte Tag – so lautete die, zugegeben, in vielerlei Hinsicht herausfordernde Aufgabe, die ich unseren Welpenkäufern für das aktuelle Foto des Monats gestellt habe: wie würde sich eben jener letzte Tag gestalten, was würde man tun, wo würde man ihn verbringen?
© Johannes Willwacher