Unsere zweite Urlaubswoche auf Sardinien: von der Gorrupu-Schlucht zur Cala Goloritzè – und immer wieder die Küste rauf und runter, um mit den Hunden die schönsten Strände der Insel zu erkunden
SECHSTER TEIL
Sonne und Meer, oder:
Nichtstun kann auch mal
ganz schön sein
Strandurlaub – wer an Sardinien denkt, dem werden wohl zuerst die vielen Buchten und Strände in den Sinn kommen, die mit feinem Sand und kristallklarem Wasser zum Nichtstun einladen. Wer im Urlaub nur ausspannen will, wird sich deshalb vielleicht auch gerne mit dem beruhigenden Meerblick begnügen, vergessen, was es sonst noch zu entdecken gibt – drei Quadratmeter Sand, einen Sonnenschirm, und gut. Wir sind dafür nicht gemacht – genauso, wie es für uns nicht in Frage kommt, unseren Urlaub ohne die Hunde zu verbringen. Ich sage gerne, dass die Hunde zu mir gehören, wie mein linkes und mein rechtes Bein, weil sie mich am Laufen halten – und weil beide, die Beine und die Hunde, eben gerne laufen wollen, sieht auch unser Urlaub zumeist entsprechend aus: für jeden Urlaubstag werden Touren und Wanderungen geplant, Sehenswürdigkeiten abgehakt und das Urlaubsland, wenn schon nicht ganz, dann doch zumindest in weiten Teilen erschlossen. Sardinien macht es einem da nicht leicht, denn Sardinien ist vor allen Dingen eines: ziemlich groß. Wer alles gesehen haben will, muss daher nicht nur viel Zeit im Gepäck haben, sondern auch gerne und lange Auto fahren – die kurvigen, durch steile Berglandschaften führenden Straßen im Inselinneren lassen eine Strecke von fünfzig Kilometern mitunter zum mehrstündigen Abenteuer werden. Wenn man also sowieso nicht alles gesehen haben kann, dann …
»Klar kann man versuchen, die vierhundert Kilometer von Norden nach Süden in drei Wochen runter zu reißen«, sagt die Frau mit der großen Sonnenbrille, die zu einem luftigen Leinenhemd nur ein Paar Badelatschen trägt, »aber was hätte man davon?«. Wir treffen sie und ihren Mann zufällig, als wir mit den Hunden den Rückweg vom Strand eingeschlagen haben – zwei Stunden hatten wir die Cala Cartoe, zwischen Orosei und Cala Gonone gelegen, ganz für uns, bis an diesem Samstagmorgen die ersten Einheimischen mit Sonnenschirmen und Liegestühlen am Strand eintrafen. Das Paar ist schon zum vierten Mal auf Sardinien und erzählt, dass die Insel von jedem Entscheidungen verlangt. »Alles kann man nicht haben, alles sehen auch nicht – und manchmal ist vielleicht auch ein Tag am Strand gerade genug.« So bestätigt, genießen wir die folgenden Tage noch ein bisschen mehr.
Die Strände von Orosei – angefangen bei der kleinen Cala Osalla, die sich kaum fünf Minuten von unserem Ferienhaus entfernt hinter einem Bergrücken befindet, bis zu dem weitläufigen Strand von Su Barone, der sich nördlich anschließt, durch ein schmales Flüsschen und einen lichten Pinienwald von der Uferstraße getrennt – kennen wir bereits und haben gemeinsam mit den Hunden schöne Stunden dort verbracht. An den beiden Tagen, die wir uns und den Hunden als Auszeit vom Aktivurlaub gönnen, erkunden wir deshalb die Dünenlandschaft am Capo Comino – dem östlichsten Punkt Sardiniens – und die abgeschiedene Spiaggia di Berchida, die wir vom Kap aus nach einem einstündigen Spaziergang erreichen. »Wie es hier wohl in der Hauptsaison aussieht?«, kommt mir immer wieder in den Sinn. Jetzt, im Mai, gehören fast alle Strände den Hunden. Das Meer, der Sand und die Wellen übrigens auch.
SIEBTER TEIL
Mehr Steine, oder:
der Teufel hat die
Wurst gemacht
Eine Legende besagt, dass der Teufel am Ende der Gola di Gorrupu auf den Besucher wartet, um ihm im Tausch gegen seine Seele alle Reichtümer der Welt zu schenken. Das könnte ein Anreiz für einen Besuch sein – oder ein weiterer Grund, die Karstschlucht, die sich bis zu vierhundert Meter tief in den Supramonte frisst, ohne die Hunde zu erkunden: wenn alle Reichtümer der Welt sich in Würstchen übersetzen lassen, wird unsere Nell wohl nicht zweimal überlegen, was mit ihrer Seele anzufangen ist. Der entscheidende Grund, warum ich die Erkundung der Schlucht alleine in Angriff genommen habe, hat aber weniger damit zu tun, sondern viel mehr mit den Hindernissen, die der Teufel dem Besucher in den Weg geräumt hat. Aber dazu später mehr.
Fast zehn Kilometer zieht sich die schmale Straße, die kurz hinter Dorgali von der Orientale Sarda abbiegt, durch das mit Weinbergen und Obstgärten bestandene Tal von Oddoene, bis wir mit der Punta Sa Barva deren Endpunkt erreichen. Der bewachte Parkplatz, etwas oberhalb des Riu Flumineddu gelegen, ist an diesem Morgen beinahe leer, am Eingang wartet bloß eine Wandergruppe – die Australier, die uns schon auf dem Weg zur Cala Luna begegnet sind – auf ihren Tourenguide. Der rauschende Gebirgsbach lockt die Hunde, die schnell angeleint sind, dann machen wir uns auf den Weg. Letzterer lässt sich erstaunlich bequem laufen, so dass die zwei Stunden Gehzeit, die bis zum Erreichen der Schlucht bewältigt werden wollen, uns kaum so lang vorkommen – als Hindernisse stellen sich allein einige langsamere Wanderer heraus, die uns auf dem Pfad, der im zweiten Abschnitt zusehens schmaler wird, nicht vorbei lassen, und schlussendlich auch der Regen, der auf halbem Weg einsetzt.
»You can try, but it’s too difficult for the dogs«, heißt es, als der Eingang zur Gola di Gorrupu erreicht ist. Es regnet noch immer, ein scharfer Wind pfeift aus der Schlucht. Der Einwand der jungen Frau, die an einem improvisierten, sich im Wind wild aufblähenden Kassenhäuschen sitzt, leuchtet mir sofort ein: die großen, runden Felsbrocken, die durch den Regen glatt und rutschig sind, in der Schlucht aber immer wieder überwunden werden wollen, versperren für die Vierbeiner den Weg. Wir beschliessen, dass die Wanderung ohne die Hunde fortgesetzt wird, und ich mich alleine in das Labyrinth aus mannshohen Felsen wage.
Wanderer behaupten gerne, einem Weg diese oder jene Erkenntnis abgerungen zu haben. Manche sprechen von Erleuchtung, manche von Stärke, manche vom Gefühl grenzenloser Freiheit. Mir drängt sich zwischen den Felswänden, die sich steil zu beiden Seiten der Schlucht erheben – die mal überhängen und mal den Blick auf einen weißen, unendlich fernen Himmel freigeben –, bloß ein Gedanke auf: wie beschissen klein ich bin. Während ich mich nämlich anfangs noch recht mühelos fortbewege, werden die Hindernisse immer größer: nicht nur beide Hände wollen zum Klettern eingesetzt werden, mitunter ist es auch erforderlich, mich bäuchlings abzuseilen oder auf dem Hosenboden voranzurutschen. Das frustriert. Aber es beeindruckt auch. Und die Erkenntnis – wenn es eine solche gibt – die eigenen Grenzen erkannt und anerkannt zu haben, ist vielleicht auch nicht die Schlechteste: wer braucht schon alle Reichtümer der Welt, wenn er seine Seele behalten und zu vier Hunden zurückkehren kann, die ihn freudig begrüßen?
ACHTER TEIL
Am Ziel, oder:
dicke Luft im Paradies
Sechs Gefährten, die unter einem schweren, schwarzen Himmel einem schmalen Pfad aus weißen Kieseln folgen. Sechs Gefährten, von denen zwei aufrecht gehen, während sich die Übrigen geschickt auf allen Vieren fortbewegen. Sechs Gefährten, die froh und glücklich sein könnten – im Grunde sind sie das wohl auch –, wäre da nicht einer unter ihnen, der sich wünscht, jetzt ganz woanders zu sein: nicht unterwegs, nicht unter diesem Himmel, nicht mit der Kamera um den Hals auf dem Weg zum Ziel der Träume. In seinen Träumen war der Himmel nämlich blau.
Wer fotografiert, der neigt vielleicht immer ein wenig dazu, seine Umwelt bloß als Motiv zu begreifen, und jeden Ort, den er besucht, nur nach fotografischen Kriterien zu klassifizieren. Weil der Mittwochmorgen, den wir uns für die Wanderung zur Cala Goloritzè ausgesucht haben, einem maßgeblichen Kriterium – will heißen: dem rechten Licht – zuwiderläuft, und es auch auf dem gut einstündigen Fußmarsch, der von der Hochebene Su Golgo durch Steineichenwälder zur Küste führt, einfach nicht aufklaren will, trotte ich bloß missmutig hinterher. Höhlen blöd, Felsnadel blöd – alles blöd. Zu meiner Rechtfertigung muss erwähnt werden, dass die Cala Goloritzè – oder vielmehr: ein Foto der Bucht, das ich in einem Reisemagazin gesehen hatte – für mich fast als erster Grund gelten kann, über einen Sardinienurlaub nachzudenken: als hätte jemand einen Pinsel genommen und versucht, alles, was man sich an mediterranem Postkartenkitsch nur vorstellen kann, auf eine Leinwand zu bannen. Nicht bloß schön, fast zu schön. Unwirklich. Und welcher Fotograf möchte so ein Motiv nicht gerne selbst in Szene setzen? Also, das passende Licht vorausgesetzt.
Der Strand ist menschenleer, als wir die steile Treppe hinabsteigen, die über Stufen aus Fels und verwitterndem Holz die letzten fünfzehn Höhenmeter überwindet. Die Bucht selbst ist winzig klein, bloß einige Quadratmeter Kies, die sich zwischen den weißen Felsen verteilen, eingerahmt von rotem Gestein. Im Süden reicht der Blick bis zu einem Felsbogen, der weit ins Meer hineinragt, im Norden lassen sich durch den Dunst die Städte im Golf von Orosei erahnen, weiß schimmern die Häuser von Cala Gonone im Morgenlicht. Über der Bucht erhebt sich eine spitz zulaufende Felsnadel – Punta Caroddi oder auch L’Aguglia genannt –, die mit ihren über hundert Metern Höhe schon von Weitem sichtbar ist. Während die Hunde zurückbleiben – laut den Bestimmungen des Naturparks, die uns am Ausgangspunkt der Wanderung unmissverständlich mitgeteilt worden sind, herrscht am Strand absoluter Leinenzwang und sollen Hunde auch vom Baden abgehalten werden –, steige ich mit dem Weitwinkel über einige der großen, weit ins Wasser ragenden Felsbrocken und versuche, mir ein besseres Bild zu machen. Als ich Blende und Belichtungszeit gewählt und ein voll besetztes Ausflugsboot seine Runde habe drehen lassen – in der kleinen Bucht gibt es für Motorboote keine Möglichkeit, um anzulegen –, schaue ich nach oben: da ist es endlich, das lange ersehnte Blau. Und nicht nur mein Gesicht hellt sich mit einem Mal auf.
Das Meer leuchtet smaragdgrün und türkisblau, die Wellen spülen sanft über den hellen Kies. Die dicke Luft im Paradies hat sich verzogen. Die Sonne scheint.
NEUNTER TEIL
Das Strandhandtuch, oder:
einmal abtrocknen, bitte!
Ein kurzer Blick über den Strand, der versichert, dass niemand versteckt in einer Sandmulde liegt und von den Hunden überrannt werden kann, dann klicken die Leinen und fliegen die Pfoten, schnurstracks dem Wasser entgegen. Bis wir die Vier eingeholt, Taschen und Rucksäcke abgestellt und uns bis auf die Badehosen ausgezogen haben, schallt ungeduldiges Bellen über den Strand – »Los macht schon, macht schon, macht schon!« soll es bedeuten – und je länger das Bellen dauert, desto fordernder wird es. Endlich segelt die Frisbee über die Wellen, endlich stürzen sich alle vier Hunde mit weit aufgerissenen Augen hinterher. Der eine springt mutig, weit gestreckt über die weiß schäumenden Kronen, der andere watet langsam hinterher, bemisst mit den Pfoten erst suchend den Grund, dann unsicher die Tiefe, und stößt sich schliesslich mit einem leisen Seufzen vom sandigen Ufer ab. Nicht nur das Spiel wiederholt sich – so wie der Ausflug zum Strand –, auch das Paddeln und Strampeln, das Schütteln und Spritzen oder das Ringen um den triefnassen Fluggegenstand. Wiederholung ist Sicherheit, das gefällt den Hunden. Die sich nach dem Bad – auch das wiederholt sich – ausgelassen von einem Strandhandtuch zum nächsten kugeln, über Taschen und Rucksäcke, Schuhe, Kleider und Wäsche hinweg. Und damit endet die zweite Urlaubswoche.
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