Urlaub auf Sardinien – drei Wochen mit vier Border Collies im malerischen Nordosten der Insel. Im ersten Teil des Reiseberichts entdecken wir Berge und Meer – und als Highlight die wunderschöne Cala Luna.
Sardinien
So kommt man hin!
Mit Alghero, Cagliari und Olbia gibt es auf Sardinien zwar drei Flughäfen, die auch von Deutschland aus angeflogen werden, wer mit Hunden reist wird aber – so wie wir – wahrscheinlich doch eher den Land- und Wasserweg wählen. Die weite Strecke zum Fährhafen von Livorno haben wir auf zwei Tage aufgeteilt, so dass uns und den Hunden neben der reinen Fahrtzeit (zwischen fünf und sechs Stunden pro Tag) genügend Zeit für Pausen und kleinere Spaziergänge bleibt. Die Überfahrt sollte man am besten schon Wochen vorher buchen, da Kabinen für Reisende mit Hund nicht auf allen Fährschiffen angeboten werden und oftmals schnell ausgebucht sind – und da es auf der zehnstündigen Nachtfahrt nicht gestattet ist, Hunde im Auto zu lassen, bleibt ansonsten nur die Möglichkeit, mit dem Vierbeiner auf Deck oder in den Gängen zu übernachten. Der Check-in an Bord läuft reibungslos, das Personal ist freundlich und die Kabinen auch mit mehreren Hunden groß genug für eine Nacht. Auf dem Zwischendeck gibt es einen Löseplatz – ein mit Kies ausgelegtes Karree von etwa drei Quadratmetern –, der aber wohl von den wenigsten Hunden gerne genutzt wird, so dass der erste Halt nach dem Anlegen in Golfo Aranci bei fast allen Hundebesitzern den dringenden Bedürfnissen der Vierbeiner gilt.
ERSTER TEIL
Die bärtige Maria, oder:
was der eine einfach nennt, das
nennen wir hundefreundlich
Ob wir die Mieter der Casa Gulunie seien, werden wir gefragt, als wir nach zwei Tagen und fast zwanzigstündiger Fahrt in der Via Grazia Deledda in Orosei stehen – zumindest reime ich mir das mit meinen mittelmäßigen Italienischkenntnissen zusammen –, antworte also mit einem beherzten »Si! Si!«. Der Fragesteller selbst ist – weil bärtig – zwar nicht die versprochene Maria, die uns, wie mit dem Vermieter vereinbart, vor dem Hotel Maria Rosario in Empfang nehmen sollte, wir folgen dem kleinen Mann in dem rostigen Fiat dennoch gerne aus dem Ort hinaus und – als das Ende der Straße erreicht ist – in die mit Olivenbäumen und flacher Macchia bewachsene Wildnis hinein. Die Casa Gulunie – ein Rustico, das die ursprüngliche landwirtschaftliche Nutzung als Schafstall noch erahnen lässt – erreichen wir kurz darauf und werden – »Parlo solo un po ’di italiano!« – von einer wortreich auf uns einredenden Dame mittleren Alters begrüßt, die uns das Wetter – »Ha piovuto molto!« – und den Abfallkalender erklärt, sich über die Hunde freut – »Quattro cani!« – und uns schlussendlich eine Flasche Wein, eine Blech Biscotti und den Schlüssel übergibt. Dann sind wir allein. Für drei Wochen.
ZWEITER TEIL
Der Esel schreit, oder:
ein Caffè Grande im ersten
Sonnenlicht
Es ist still. Jetzt, am Morgen, sind es bloß die Rufe zweier Tauben, die hoch zwischen den Zweigen der alten Olivenbäume sitzen, die durch die Stille schneiden. Dann und wann schreit ein Esel – einer von dreien – von der mit blühenden Disteln übersäten Weide nebenan. Andere Nachbarn gibt es nicht – oder besser: noch nicht. Ein Stück den Hang hinauf – zweihundert, vielleicht dreihundert Meter – befindet sich ein leerstehendes Ferienhaus, das sich mit unserem die steinige Zufahrt teilt und nur auf die Ankunft weiterer Feriengäste wartet. Auf der anderen Seite – dort, wo sich hinter den Olivenbäumen eine von Eidechsen bewohnte Trockenmauer erstreckt – schließen sich Schafweiden an, dem Fahrweg gegenüber fällt die Landschaft steil in ein grünes Tal ab, durch das ein Fluß über mächtige Felsstufen dem nahen Meer entgegen rauscht.
DRITTER TEIL
Aus dem Wanderführer, oder:
machst du jetzt bitte mal ein
bisschen langsamer
Weil unser zweiter Urlaubstag auf einen Sonntag fällt und wir uns mit den vier Hunden nur ungern zu den Scharen sonnenhungriger Italiener gesellen möchten, die an den Sonntagen die – in der Vorsaison ansonst noch menschenleeren – Strände bevölkern, beschließen wir dem Meer den Rücken zu kehren und stattdessen die Wanderstiefel zu schnüren. Schnell ist im Wanderführer eine geeignete Strecke gefunden, die – mit viereinhalb Stunden Gehzeit und fast sechshundert zu bewältigenden Höhenmetern – zwar als anspruchsvoll gekennzeichnet ist, mit den Hunden aber noch gut machbar scheint. Der Monte Albo im Nordosten Sardiniens ist mit seinen 1.127 Metern zwar längst nicht so hoch wie der Höhenzug des Gennargentu (1.834 Meter), verspricht von der Punta Catirina – einem von zwei Gipfeln – aber einen beeindruckenden Rundblick und auf dem Weg alte Eichenwälder, die uns und den Hunden kühlen Schatten spenden.
Das Auto an der schmalen Passstraße zwischen Lula und Sant’Anna abgestellt, haben wir nach einer Stunde Gehzeit, in der wir dem steilen Pfad in Kehren immer weiter bergan gefolgt sind, die Baumgrenze und wenig später die blühende Hochebene von Su Campu ’e Susu erreicht. Affodill und Heiligenkraut wachsen zwischen den weißen Hügeln, hier und da Wacholder und windschiefe Steineichen. Wir rasten unter einer der Letzteren, lassen die Hunde trinken und schließlich – weil außer den Steinmännchen, die gut sichtbar den Weg durch die Ebene leiten, keine Menschenseele zu sehen ist – alle Vier von der Leine. Nach einer weiteren Stunde – wir haben die Ebene überquert und sind über Geröll und glatte Kalkfelsen fast bis zum Gipfel gelangt – rasten wir unter dem Wegweiser zur Punta Catirina erneut, bevor wir kurz zum Gipfelkreuz spazieren, um schließlich den Abstieg in Angriff zu nehmen. Der stellt sich als weitaus beschwerlicher dar als der Aufstieg, weil lose Steine und Geröll mehr Trittsicherheit verlangen, so dass wir mehr als erleichtert sind, den Taleinschnitt von Nurai zu erreichen, der uns – das Klingeln von Schafsglocken im Ohr – durch dichte Wälder führt und endlich auf einer asphaltierten Straße endet. Auf den eingezäunten Weiden, die den Weg zurück zum Ausgangspunkt säumen, grasen Kühe, ein paar Hunde – die gleich wieder verschwunden sind, als sie unser Rudel erblicken (»Quattro cani!«) – stellen sich uns bellend in den Weg, dann haben wir – zwar verschwitzt, aber trotz der Pausen in unter vier Stunden – das Ende unserer ersten Wanderung erreicht. Die Hunde springen begeistert ins Auto – und schlafen beinahe auf der Stelle mit einem beseelten Grinsen (»Molto bello!«) ein.
Den Tag darauf verbringen wir am Strand, der genauso leer ist, wie wir erwartet haben: nur zwei weiteren Badegästen begegnen wir am Hundestrand, der sich von unserem Ferienhaus fußläufig hinter der Hafenmole von Osalla befindet, am weitläufigen Sandstrand links davon – an dem offiziell keine Hunde erlaubt sind – bleiben wir ganz allein. Nell, Ida und Zion – die Augen vor Freude weit aufgerissenen – stürzen sich gleich in die Fluten, während Heidi am Ufer zurückbleibt und das Spiel der Wellen, die sich laut an den grauen Felsen brechen, kritisch beäugt. Weil meine neue Badehose ohnehin eingeweiht werden will, nehme ich unsere Jüngste kurzerhand auf den Arm und mit ins kühle Nass – und gebe der unsicher paddelnden Hündin den ersten, wenn auch nicht ganz freiwilligen Schwimmunterricht.
VIERTER TEIL
Picasso im Regen, oder:
wer mit Hunden reist, der
macht keine Pläne
Ida lahmt. Die Wanderung zur Cala Luna, die wir für unseren fünften Urlaubstag geplant haben – Aufbruch kurz nach Sonnenaufgang, um die rund vierstündige Tour noch vor dem Ansturm der Touristen zu schaffen, die sich mit Ausflugsbooten zu der nur schwer zugänglichen Bucht schiffen lassen – müssen wir verschieben. Tags zuvor scheint sich die Hündin am Hinterlauf verletzt zu haben, der Pfotenballen ist eingerissen – zwar nur an einer winzigen Stelle, das Auftreten bereitet ihr aber dennoch Schmerzen: wer mit Hunden reist, überlässt das Planen besser denselben.
Die gleiche Erkenntnis hat bereits die beiden vorangegangenen Tage geprägt. Aufgrund der gemäßigten Temperaturen ist der Mai zwar die beste Reisezeit, um Sardinien mit Hunden zu erkunden – weil der Mai sich aber für gewöhnlich nur ungern festlegen will, ob er zum Frühjahr oder zum Sommer gehört, muss man aber leider auch immer auf plötzliche Wetterumschwünge, will heißen: Regen, gefasst sein. Während es Reisende ohne Hund bei schlechtem Wetter gerne in die Museen, Kirchen und Klöster zieht, steht man als Hundebesitzer bei Regenwetter vor der Frage, was es statt Baden und Wandern zu tun gibt.
Orgosolo (die Betonung liegt, wie mich Fausto – die bärtige Maria – mit einem Lächeln berichtigt, auf der zweiten Silbe) heißt unser Ziel am ersten Tag, und ist vor allem für seine Murales – großflächige Wandgemälde, die mehr als hundert Fassaden in dem kleinen Bergdorf zieren – bekannt. Den Ursprung in den späten sechziger Jahren und die Nähe zur Kommunistischen Partei merkt man vielen der Gemälde an, an denen wir vorbeispazieren – zwischen Marx und Engels, die von vielen Häuserwänden grüßen, findet auch ein Che Guevara seinen Platz, wird die Staats- und Weltpolitik hinterfragt oder an die Partisanenkämpfe im Faschismus erinnert. Stilistisch zitiert vieles Picassos Guernica – um das zu erkennen braucht es nicht einmal einen Blick in den Reiseführer, sondern bloß ein bisschen kulturelles Interesse. Eine, vielleicht anderthalb Stunden laufen wir im Regen durch die schmalen Gassen, hinter jeder Ecke wartet ein neuer Kommentar zum Zeitgeschehen – und als wir den Ort verlassen, spielen Jim Morrison und die Doors im Autoradio dazu. Was, frage ich mich, könnte besser passen?
Der zweite Regentag – der eigentlich keiner mehr ist, da es nur noch in Abschnitten regnet – führt uns südwestlich um den Gennargentu-Nationalpark herum nach Gairo Vecchio. Oder viel mehr: zu dem, was von dem in luftiger Höhe gelegenen Dorf übrig geblieben ist, denn seitdem der Ort in den fünfziger Jahren infolge schwerer Unwetter aufgegeben wurde, lebt hier niemand mehr und sind die Häuser, die sich an einer handvoll Straßen den Hang hinab ziehen, dem Verfall preisgegeben. Zwischen zerborstenen Mauern und eingestürzten Dächern wachsen Ginster und Mohn, die Hunde haben eine Freude daran, den Spuren von Ziegen und Hühnern zu folgen, die talabwärts durch die Straßen getrieben werden – und wäre da nicht das laute Dröhnen der Motorräder, die zu Hunderten die kurvigen Passstraßen hinauf und hinab jagen, könnte man es – der Geisterstadt zum Trotz – beinahe idyllisch nennen.
Weiter führt uns der Weg von Lanusei über Arbatax nach Santa Maria Navarese – eigentlich bloß, um noch einen schnellen Blick auf das Meer zu werfen und den Hunden vielleicht ein wenig Abkühlung zu gönnen –, weil aber die Wolken entlang der Küste in der Zwischenzeit aufgerissen sind und die Wanderung zur Pedra Longa – einer Felsnadel, die über hundert Meter aus dem Meer herausragt – mit ihren drei Stunden Gehzeit auch am frühen Nachmittag noch machbar scheint, stellen wir das Auto am Ortsrand ab und genießen die atemberaubende Aussicht auf das in allen Blautönen schimmernde Meer, die sich vom gut befestigten Wanderweg bietet.
Der Rückweg über die Orientale Sarda wartet schliesslich mit ganz anderen Panoramen auf – davon aber so vielen, dass es beinahe hinter jeder Kurve vom Beifahrersitz heißt: »Können wir hier mal kurz halten?« Der Weitblick über die grünen Hügel, die sich von Baunei bis zum Meer erstrecken, die regenschweren Wolken über der Codula di Luna oder die letzten Sonnenstrahlen, die sich am Pass von Genna Silana im Tal der Gola di Gorrupu verlieren – der Fotoapparat klickt, klickt und klickt.
FÜNFTER TEIL
Ein bisschen Südsee, oder:
der lange Weg zum Meer
In jedem Reiseführer, den man zur Hand nimmt, wird man Ziele finden, die mit einem großen Ausrufezeichen und als unbedingt sehenswert markiert sind. Die abgeschiedenen Buchten im Golf von Orosei, die sich nur mit dem Boot oder über mehrstündige, zum Teil recht beschwerliche Wanderungen erreichen lassen, gehören ganz ohne Zweifel dazu. Eine davon – vielleicht die Schönste im ganzen Mittelmeer – soll den Abschluss unserer ersten Urlaubswoche bilden: die Cala Luna – die Bucht des Mondes. Um uns nicht gemeinsam mit hunderten anderer Touristen über die zerklüfteten Hügel schieben zu müssen und die Schönheit der sichelförmigen Bucht vielleicht sogar noch vor der Ankunft der ersten Ausflugsboote genießen zu können, brechen wir – festes Schuhwerk und genügend Trinkwasser für uns und die Hunde im Gepäck – im ersten Sonnenlicht nach Cala Gonone auf, wo wir das Auto gleich hinter der Absperrkette an der Caletta Fiuli abstellen. Außer unserem Fahrzeug parkt am Ende der engen Küstenstraße bloß ein Wohnmobil, das hier – zwar unerlaubt, aber offenkundig geduldet – über Nacht abgestellt worden ist: wir sind allein.
Die rund zweistündige Wanderung zur Cala Luna beginnt mit einem felsigen Anstieg, der sich steil aus der Schlucht heraus windet, danach geht es über zumeist gut ausgetretene Pfade von einem Hügel zum nächsten – die Küste dahinter lässt sich nur erahnen, zu dicht ist die Macchia, zu hoch die Erdbeerbäume, die Strandkiefern und der Wacholder. Nach einer guten Stunde haben wir die Codula Oddoana erreicht, das Gelände fällt über Steinstufen steil in die Schlucht ab – wir lassen die vier Hunde sich ihren eigenen Weg nach unten suchen, während wir uns mit beiden Händen beim Abstieg behelfen müssen. Nach einem weiteren Anstieg öffnet sich der Blick auf die Felswand, von der die Cala Luna eingefasst wird, davor lässt sich ein kurzer Steg erkennen, an dem gerade ein Ausflugsboot angelegt hat – winzig zeichnen sich Menschen vor dem grauen, noch im Schatten liegenden Gestein ab. Ich bin ein wenig ernüchtert – aber was will man von einem Paradies erwarten, das längst kein Geheimtipp mehr ist?
Die aus zehn, vielleicht zwölf Menschen bestehende Reisegruppe, die vor uns am Strand angekommen ist – allesamt Australier, die sich freundlich nach unserer Herkunft erkundigen und mit lautem »Ah!« und »Oh!« den Hunden zuwenden –, hat schnell den Rückweg eingeschlagen (später sollen wir der Wandergruppe noch einmal begegnen), so dass uns die Bucht tatsächlich ganz alleine gehört. Keine Wolke am strahlend blauen Himmel, das Wasser schimmert grün und klar – und in den mächtigen Karsthöhlen, die die Zeit in die von Wind und Wetter fast glattgeschliffenen Felswände gegraben hat, findet sich immer ein schattiges Plätzchen. »Wenn das Paradies so aussieht«, sage ich, »wozu dann noch weiterleben?«. Vielleicht, um eine Runde zu schwimmen, meinen die Hunde. Und das tun sie dann auch.
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