Advent, Advent: die letzten Wochen des Jahres sollen eigentlich die Schönsten sein. Allzu oft sind sie aber genau das Gegenteil. Was sich empfiehlt, um Stress zu vermeiden – und was man daraus für die Hundezucht lernen kann.
Die Nachbarn haben bereits damit begonnen, die Fenster und Vorgärten weihnachtlich zu schmücken. Blinkende Lichterketten, bunt leuchtende Sterne und Girlanden werden angeknipst, sobald es dämmert, und wenn ich die Straße entlang fahre – so wie jetzt – ist kaum ein Haus darunter, das nicht festlich beleuchtet ist. Vielleicht, denke ich, ist unseres tatsächlich das Einzige – und obwohl ich kaum Wert darauf lege, immer genau das zu tun, was alle anderen zu tun pflegen, überkommt mich an diesem Morgen für einen kurzen Moment das Bedürfnis, nicht – wie geplant – mit den Hunden zum Spaziergang zu fahren, sondern vielmehr das nächste Kaufhaus anzusteuern und mich mit all dem einzudecken, was ringsum in Vorfreude leuchtet und blinkt. »Was denken, was reden die sonst?« Ich wische den Gedanken beiseite und schalte das Radio an, rechne beinahe damit, die leiernden ersten Takte von »Last Christmas« zu hören, höre aber stattdessen Freddie Mercury, der über einen repetitiven Basslauf frei improvisiert.
Under pressure
that brings a building down
splits a family in two
puts people on streets
Die Wochen vor Weihnachten sind Warteschlangen an den Kassen, überfüllte Parkplätze und – je näher die vermeintlich schönste Zeit des Jahres rückt – eine spürbar aggressive Hektik. Psychologen sprechen von überzogenen Ansprüchen, warnen davor, sich nicht in überhöhte Erwartungen – weder an sich selbst, noch an andere – zu versteigen, und empfehlen gerne, sich den ritualisierten Zeitvorgaben und choreographierten Abläufen ganz bewusst zu entziehen. Statt dem Druck, der nicht allein von Brauch und Sitte ausgeht, sondern vielmehr noch dem Bedürfnis entspringt, ein unbestimmtes Weihnachtsgefühl wiederherzustellen, also bloß eines: Verweigerung. Aber: kann Verweigerung wirklich gelingen, wenn es rechts und links festlich leuchtet und blinkt?
It’s the terror of knowing
what the world is about
watching some good friends
screaming ‚let me out’
Der Blick nach rechts und links – das Gefühl, dass die Fenster der Nachbarn immer heller strahlen, als die eigenen – begleitet uns Züchter über das ganze Jahr. Ständig sieht und hört man etwas, das man auch gerne hätte, liest von Erfolgen, die andere feiern, und Aufmerksamkeit, die andere bekommen. Aus Unzufriedenheit bemüht man sich, alles genauso zu machen, dem Bild zu entsprechen, das der andere von sich entwirft – noch öfter zu betonen, wie sehr man seine Hunde liebt, noch mehr Ausstellungen zu besuchen, mehr Freundschaften zu schließen, mehr Fotos zu posten –, immer im Blick zu behalten, was beim anderen funktioniert. »Was hat der, was ich nicht habe?« Neid erzeugt Druck, weil Neid sich aus dem subjektiven Gefühl des Mangels speist, das den einen überhöht, während es den anderen niederdrückt, klein und unbedeutend macht. Das unter Züchtern so viel Neid herrscht, so viel und schlecht über einander gesprochen wird, resultiert genau daraus: dem Wunsch, den Druck umzukehren und die eigene Position, das eigene Image – das Selbstbild – zu verbessern. Dem eigentlichen Ziel, das von allen Züchtern verfolgt werden sollte – nämlich: die Rasse in Solidarität und offenem Austausch gesund zu halten und stetig zu verbessern –, stehen Rivalität und Konkurrenzdenken eindeutig entgegen. Neid vergleicht, lässt aber keinen echten Austausch zu.
Can’t we give ourselves
one more chance?
»Vielleicht«, denke ich und blicke den Hunden nach, die vor mir durch den – ganz und gar nicht weihnachtlichen – Sprühregen traben, »vielleicht wären die vier Wochen vor Weihnachten schöner, ohne diesen Blick nach rechts und links – ohne den beständigen Vergleich, was andere haben und man selbst nicht. Vielleicht sollte man den Blick viel eher nach innen richten, sehen, was längst da ist – mehr sein, weniger sein wollen – und all das, was man tut, mit ein bisschen mehr Liebe tun«.
Vier Hunde vor mir auf dem Feld. Und alles ist gut.
Cause love’s such an old fashioned word
and love dares you to care for the people
on the edge of the night
and love dares you to change our way of
caring about ourselves
Under Pressure, Queen with David Bowie (1982)
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