100 Fotos – und die Frage, welches Foto gut und welches unverzichtbar ist. Über die Hundefotografie, fotografische Regeln, Border Collies und Füchse auf dem Feld.
»Sechs Uhr ist eine gute Zeit für Füchse«, denke ich, als ich mit den Hunden die Spitze des Hügels erreicht habe und kurz stehen bleibe, um Luft zu holen. Der Blick ist weit, die Luft klar, nur weit unten im Tal hat sich der Frühnebel in den Baumkronen festgefressen. Gleich vor uns grenzt an die Weideflächen ein Maisfeld an, das sich – so weit ich schauen kann – vom linken bis zum rechten Rand meines Blickfelds erstreckt, und aus dem ein Jungfuchs nach dem anderen herausgesprungen kommt. Zehn, vielleicht auch fünfzehn der roten, spitzohrigen Tiere mache ich auf der noch taunassen Wiese aus – die Hunde haben von dem frühmorgendlichen Treiben nichts mitbekommen, schnüffeln noch immer versonnen am Wegesrand –, nur ich schaue und ärgere mich schließlich, dass die Kamera zur Morgenrunde zuhause geblieben ist. »Das beste Foto«, denke ich und werfe den spielenden Füchsen einen letzten Blick zu bevor es weiter geht, »das beste Foto ist immer das, das man nicht gemacht hat«.
Fünf Regeln
für bessere Hundefotos
No. 1
Begib dich auf Augenhöhe!
Wer mit der Kamera wortwörtlich von oben auf seinen Hund herabschaut, kommuniziert auch genau das. Also: auf die Knie!
Der Gedanke, welches Foto gut und welches unverzichtbar ist, beschäftigt mich auch noch drei Stunden später, als ich auf dem Weg zur Arbeit – die drei erwachsenen Hunde verschlafen nach der ausgiebigen Morgenrunde gerne den Vormittag, werden überdies bloß bis zum Mittag alleine bleiben müssen – aus dem Fenster des 9-Uhr-Zuges nach Frankfurt schaue. Auf der gegenüberliegenden Gangseite sind zwei Asiaten ins Gespräch vertieft – Japaner, mutmaße ich, nicht zuletzt, weil der Zufall zwei protzige Digitalkameras auf dem Tisch platziert hat, der sich zwischen beiden befindet. Ich male mir aus, was die Speicherkarten enthalten, sehe zuerst den untersetzten, älteren Reisenden am Ufer der Herengracht stehen, einige unscharfe und verwackelte Aufnahmen barocker Stadtpaläste folgen, dann den Jüngeren am Fuß des Kölner Doms – Etappen, die der Zug auf dem Weg zum Frankfurter Hauptbahnhof nimmt –, und schließlich die Altstadt, den Römer und die Paulskirche, immer mit einem lächelnden Japaner davor. »Viel anders«, denke ich und muss unfreiwillig grinsen, »so wirklich anders sähen meine Fotos wohl auch nicht aus«. Nur das auf meinen, statt des dauerlächelnden Reisegefährten, auf jedem ein Hund zu sehen wäre.
No. 2
Achte auf den Hintergrund –
weniger ist mehr!
Die Umgebung sollte die Bildaussage unterstützen. Das Zusammenspiel von Schärfe und Unschärfe, die Farben, der Bildausschnitt und die Horizontlinie sollten deshalb immer bedacht werden, bevor der Auslöser gedrückt wird.
Seit der Erfindung der Fotografie wurden geschätzte vier Billionen Fotos gemacht. Heute entstehen allein in zwei Minuten mehr Fotos als im gesamten 19. Jahrhundert, werden pro Sekunde mehr als 3.000 Bilder auf Facebook hochgeladen.
Wie viele sich davon dem Hund widmen – dem großen, kleinen, schlafenden, springenden, sein Geschäft verrichtenden oder schlichtweg zwischen rot blühendem Mohn, goldgelben Weizenähren oder inmitten von aufgetürmtem Spielzeug sitzenden Hund – ist mir zwar nicht bekannt, ich weiß allerdings, dass ich selbst einen nicht unbedeutenden Teil dazu beigetragen habe. Aber: wer will, nein, wer soll sich das alles noch anschauen?
No. 3
Fokussiere auf die Augen –
achte auf die Blickrichtung!
Das schönste Hundeportrait ist versaut, wenn die Augen unscharf sind. Ist so! Schaut der Hund nicht in die Kamera, dann folge seinem Blick und gib ihm Raum.
Man könnte nun hergehen und sagen: was nicht dem Regelkatalog für ein objektiv gutes Foto entspricht – denn Regeln kennt auch die Hundefotografie zu Genüge – wird gelöscht, augenblicklich, muss niemandem gezeigt werden. Liegt der Fokus nicht auf den Augen? Weg damit! Ist der Hund unschön angeschnitten, fällt die Pose bloß zu seinem Nachteil aus? Weg damit! Säuft das Schwarz ab oder überstrahlt das Weiß zu sehr? Weg damit! Wer die Regeln kennt, neigt wohl schnell dazu, all jenen, die sich nicht daran halten, die fotografische Daseinsberechtigung abzusprechen. Gleiches gilt für Aufnahmen, die auf den ersten Blick nur noch an eine übertriebene – und vielleicht sogar falsche – Bildbearbeitung, an Filter, Flares und Leaks denken lassen, bei denen das Foto hinter Effekten verschwindet, und versucht wird, nicht bloß das mangelnde technische Verständnis, sondern auch grundlegende Fehler und Nachlässigkeiten durch Retusche auszugleichen. Aber würde man damit nicht jenen, die aus anderen Gründen fotografieren – denen, den es gar nicht um die Fotografie selbst, nicht um den künstlerischen Wert, sondern viel mehr um den geteilten Augenblick, um die Kommunikation mit der Familie, mit Freunden und Followern geht – Unrecht tun?
No. 4
Geduld ist alles – freunde dich
mit dem Papierkorb an!
Nicht jede Aufnahme gelingt auf Anhieb, nicht jedes Bild einer Serie ist ein Meisterwerk. Hat der Hund keine Lust oder die Augen zu, ist er im Bewegungsablauf im falschen Moment eingefangen, das Foto unscharf oder angeschnitten: wirf es weg!
300 Millionen Menschen sind täglich auf Instagram aktiv, mehr als vier Milliarden Likes werden in den Sozialen Netzwerken vergeben – Handykameras haben im Zusammenspiel mit den sozialen Netzwerken jeden zum Fotografen gemacht. Jeder braucht ein Logo und eine Website, jeder bietet Shootings, Composings und Collagen an – jeder braucht mehr Reichweite, mehr Aufmerksamkeit, mehr Klicks, mehr Anerkennung. Und fragt sich dennoch, ob die Likes den künstlerischen Wert der eigenen Aufnahmen bestätigen, oder bloß beziffern, wie beliebt man ist. Wo viele Menschen zusammenkommen, gibt es schlussendlich auch immer viele, die keine Ahnung haben – und sich viel stärker durch Herzchen, Likes und nette Kommentare – durch ein subjektives Empfinden – beeinflussen lassen, als durch objektive Qualität. Ist deshalb vielleicht jedes Foto gut? Und jedes unverzichtbar?
No. 5
Hab Spaß!
Ist der Hund genervt und müssen erst dutzende Kommandos eingesetzt werden, um den Vierbeiner zum Stillsitzen zu bewegen: lass’ es! Du willst doch auch nicht abgelichtet werden, wenn du grade eine Fresse ziehst.
Die Füchse. Der Moment …
Die Frage: ob man vielleicht zu sehr dazu neigt, den Genuss ins Archiv auszulagern, die schönen Momente gar nicht mehr bewusst, sondern nur durch den Sucher, nur durch ihre Abbildbarkeit zu genießen? »Zwölf gute Fotos in einem Jahr sind eine gute Ausbeute«, soll der US-amerikanische Fotograf Ansel Adams (1902–1984) gesagt haben. Und irgendwie hatte er damit auch vollkommen recht.
Ich lasse die Kamera mittlerweile meistens ganz bewusst zuhause, wenn ich mit den Hunden unterwegs bin. Und mache stattdessen die Augen, das Herz, die Seele auf. Das bringt keine Likes, keine Follower und lässt sich vielleicht mit niemandem teilen – aber die Hunde und ich haben so viel mehr davon.
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