Am Ende: unsere Welpen ziehen aus. Über Abschiede und Neuanfänge – das, was man geleistet hat und das, was noch geleistet werden muss. Und über große schwarze Vögel.
Blackbird singing in
the dead of night.
Es ist Mittwoch – ein Tag, bevor die ersten drei der fünf Welpen ausziehen sollen –, als ich mich an den Schreibtisch setze, um mit dem letzten Tagebucheintrag zu beginnen. Die Sonne geht gerade auf – aus dem Fenster sehe ich, wie sich die Wolken rot und die höchsten Äste der Obstbäume golden färben – darunter, wo noch alles im Schatten liegt, glitzert der Frost und ist auch das Dach des Welpenhaus von einer dünnen, weißen Schicht überzogen, eine Amsel hüpft verloren darauf herum, wippt und plustert sich auf. Während ich dem schwarzen Vogel nachschaue, ihn im Geäst schließlich aus den Augen verliere, klingt sein Zwitschern noch lange in meinen Ohren nach. Vielleicht gar nicht seins, denke ich, vielleicht bloß irgendeines. Und dann beginne ich zu schreiben.
Dem letzten Eintrag im Wurftagebuch kommt für mich immer eine besondere Bedeutung zu. Das nicht, weil er der Letzte ist, und es sich über Abschiede besonders gut schreiben ließe – Abschiede machen auch mich schlussendlich eher sprachlos –, sondern viel mehr, weil er noch deutlicher als jeder andere widerspiegeln soll, was ich während der Aufzucht gedacht und gefühlt habe: Wie ich diesen oder jenen Welpen erlebt und einzuschätzen gelernt habe, wo dessen Stärken und Schwächen sind. Wie viel Liebe, Zeit und Weitsicht ich für die Prägung aufgewandt habe – was bei den früheren Würfen anders war, nun besser ist. Und vielleicht auch, wo ich selbst stehe, nachdem alle gegangen sind. Letzteres ist am leichtesten in Worte zu fassen, und Letzteres kann wohl auch am leichtesten verstanden werden: Wer nachfühlt, was man nach acht Wochen aufgibt – vom Putzen und Waschen und dem Gefühl, nie genügend Zeit zu haben, einmal abgesehen –, der dürfte mit dem Bild des großen schwarzen Vogels, der frühmorgens verloren im Welpenauslauf herumhüpft, zweifelsohne etwas anfangen können.
All your life, you were only waiting
for this moment to arise.
Es wird Donnerstag, bis ich wieder die Zeit finde mich an den Schreibtisch zu setzen. Auf der Ablage hinter mir stapeln sich Papiere – Verträge, die noch unterschrieben und Dokumente, die noch ausgefüllt werden wollen – und während auf dem Bildschirm vor mir die Digitalanzeige in der Statusleiste auf sechs Uhr umspringt, kopiere ich die letzten Fotos auf den fünften und letzten USB-Stick. Dann ist schließlich alles bereit. Zeit, um mich dem großen schwarzen Vogel zu widmen finde ich aber dennoch nicht, denn vor der Wurfabnahme, die in einer guten Stunde erfolgen soll, wollen noch die Welpen gefüttert, das Welpenzimmer geputzt und auch die drei erwachsenen Hunde versorgt werden. Ich speichere also das Dokument, das mit dem Titel eines Beatles-Stücks überschrieben ist, nippe an meinem Kaffee und schiebe den Stuhl zurück. Der letzte Tag beginnt.
Blackbird fly, blackbird fly,
into the light of the dark black night.
Als es Mittag wird, machen sich mit Ella, Jill und Enya drei der fünf Welpen auf den Weg in ihr neues Zuhause – nach Asbach bei Augsburg, Euskirchen und Worms –, Elvis und Tyrion, die beiden Rüden, die nicht weit voneinander entfernt in Essen und Wuppertal leben werden, sollen noch bis zum Wochenende bleiben. Ich lächle, während ich Hände schüttle, und bleibe noch einen Moment am Gartentor stehen, um jeder der drei Hündinnen nachzuwinken, dann wende ich mich ab, setze mich zu Nell, die abseits auf dem Rasen liegt – die sich, ganz gegen ihre Gewohnheit, zum ersten Mal nicht von ihren Welpen verabschiedet hat –, und vergrabe mein Gesicht in ihrem Fell. Dass Nell mir dabei die Hände leckt, macht es nicht besser – ganz im Gegenteil –, denn die Tränen gelten nicht bloß den Welpen, sie gelten auch ihr: der Zeit, in der ich sie als Zuchthündin erleben durfte, und die mit diesem Wurf, mit diesem Tag zu Ende geht.
All your life, you were only waiting
for this moment to be free.
»Blackbird«, The Beatles (1968)
Ausgeglichen und freundlich, mutig und neugierig, aufmerksam, gelehrig und beinahe stubenrein – es ist Samstag geworden, als ich diese Zeilen schreibe, und so sehr ich mich auch bemühe, will mir nichts einfallen, das gegenteilig klingt und bei diesen fünf Welpen nicht gelungen ist. Das macht das Abschiednehmen umso schwerer – und während Regen und Nebel kalt und grau über die Hügel drängen, mir kaum noch Worte bleiben, rückt auch der nächste Abschied näher. Dass auch dieser nicht für immer sein wird – dass es Treffen und Besuche, Ausstellungen und Turniere geben und mancher die Zuchtlinien weiterführen wird –, macht es nicht leichter: aus den Augen vielleicht, aber nie aus dem Sinn – und immer im Herzen.
Eine Amsel sitzt im Kirschbaum. Sie singt eine Weile. Und dann fliegt sie davon. In ein langes, großes, glückliches Leben.
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