Der zweite Teil aus meinem eigenen Welpentagebuch: womit man als Züchter in der sechsten Lebenswoche der Welpen seinen Tag zubringt – und warum der oft ein wenig länger ist, als man denkt …
Zweiter Teil – 12 Uhr bis 22 Uhr
Den ersten Teil verpasst? »Einmal Border Collie Züchter sein – I« kannst Du hier nachlesen …
Im Schatten regt sich was. Gähnend streckt sich erst einer, dann ein zweiter, schließlich strecken auch die übrigen drei Welpen blinzelnd die Köpfe aus dem Welpenhaus. Ich habe den Futterring bereits abgestellt, mit dem Finger geprüft, ob der dicke Brei schon ausreichend abgekühlt ist, muss die Welpen aber – ganz im Gegensatz zu Nell, die sich vor dem Gitter begierig die Schnauze leckt – erst einmal locken. Als Hundemensch, sagt man, sei vor allen Dingen eine Begabung von Vorteil – nämlich jene, sich für nichts zu schade zu sein. Dem stimme ich zu. Ich blende also die Passanten aus, die lachend hinter der lichten Hecke stehen bleiben und – noch immer lachend – vorübergehen, beuge mich über Brei und Ring und beginne, herzhaft zu schmatzen. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie ein Welpe neugierig herangetrabt kommt, die anderen folgen ihm mit kleinem Abstand nach. Zwei tun es mir umgehend gleich, senken die Köpfe und schmatzen, während einer abseits sitzen bleibt und – noch immer gähnend – an einem Grashälmchen zupft, und zwei weitere in meine Ohrläppchen beißen.
Nach dem Essen nehme ich mir jeden der fünf Border Collie Welpen einzeln heraus, verlasse mit ihm die sichere Umzäunung und schaue, wie er sich außer Sichtweite seiner Geschwister und ganz auf sich allein gestellt verhält. Bei den vorangegangenen Würfen gab es immer den einen oder anderen Welpen, der sich zurückhaltender zeigte und – einmal im unteren Garten abgesetzt – kaum von der Stelle bewegen wollte. In diesem nicht. In diesem ist der fehlende Rückhalt der Geschwister bei allen Fünfen gleich vergessen und wird mit allergrößter Neugier erforscht, was rings um die verwitterten Betonplatten wächst. Sobald ich mich aber ein Stück weit entferne, wandert der Blick mir aufgeregt hinterher und sind die Welpenbeine, die sonst nur gemächlich traben, ganz plötzlich doppelt so schnell. Ich lobe jeden und freue mich lautstark – bin mir längst sicher, dass hinter den Hecken wieder lachende Passanten stehen – und trage Welpe für Welpe unter Dutzenden von Küssen zu den wartenden Geschwistern im Auslauf zurück.
Es wird Nachmittag. Während es mir der Besuch am Vortag erlaubt hat, die Welpen unbeaufsichtigt zu lassen und mich dem Haushalt zu widmen – das Normale kommt in der Welpenzeit immer zu kurz – muss ich mich heute damit begnügen, die Wäsche auf der Gartenbank zusammenzulegen, um weiter ein Auge auf die schlafenden Fünf haben zu können. Auch Nell, Ida und Zion, die rings um den Welpenauslauf im Schatten dösen, sind bei jedem Geräusch, das von Außerhalb kommt, gleich hellwach, recken den Hals und die Ohren, dösen aber weiter, wenn das Geräusch abebbt und keine Gefahr zu vermelden ist. Als Gefahr wird wohl auch nur mancher Spaziergänger verstanden, der mit seinem Hund am Gartenzaun stehen bleibt, sich hinüber beugt, um einen besseren Blick auf die Welpen zu haben, und mit lautem »Ah!« und »Oh!« wissen lässt, wie hübsch diese doch sind. Ich könnte mich also auf das Rudel verlassen, denken: »Die Drei, die regeln das schon«, würde deren Aufmerksamkeit nicht ausschließlich dem fremden Hund und nicht dem menschlichen Zaungast gelten. Käme jemand ohne Hund, der – wie von anderen Züchtern schon berichtet worden ist – über den Gartenzaun steigt und sich unbeobachtet einen der Welpen nimmt, würden die Hunde diesen wohl noch schwanzwedelnd begrüßen und ohne Gebell und Protest mit dem Welpen ziehen lassen. Ich widme mich also weiter den Socken, nehme mir dann Stift und Papier, um den nächsten Eintrag im Wurftagebuch zu entwerfen, fülle schnell ein bis zwei Seiten, und lese mir das Geschriebene – um genau zu sein, handelt es sich dabei um eben diese Zeilen – schließlich selbst laut vor. Und streiche die Hälfte. Etwas gerne zu tun ist das eine, etwas gut zu tun aber etwas ganz anderes.
Als die Sonne einmal um den Garten herum gewandert ist und die Schatten der beiden Kirschbäume so lang und breit geworden sind, dass der Welpenauslauf darunter nur noch wenig Tageslicht bekommt, beschließe ich, es für heute gut sein zu lassen, den fünf Border Collie Welpen aber noch ein ganz besonderes Abenteuer zu bieten, bevor drinnen die nächste Mahlzeit und das Spielzimmer warten. Ich fahre also das Auto vor das grüne Gartentor, öffne die Heckklappe und stelle die von den vorangegangenen Würfen bereits angenagte Faltbox hinein, trage dann einen Welpen um den anderen hinaus, lasse die Reißverschlüsse ritschen und ratschen und schließlich den Motor an.
Die Fahrt, die kaum fünfzehn Minuten dauert und einmal rund durch die umliegenden Ortschaften führt, verläuft zu meinem Erstaunen aber wenig abenteuerlich: das Geheul, das die ersten Meter begleitet, ist schon verstummt, als ich am Ende der Straße den Blinker setze. Unsere ersten beiden Würfe, erinnere ich mich, waren ausdauernd und laut, verglichen mit diesem, haben sich nicht nur in den Kurven gegenseitig an Lautstärke überboten, sondern auch jedes Schlagloch mit großem Buhei kommentiert. Als ich den Wagen über die Bordsteinkante zurück in die Einfahrt lenke, höre ich aus dem Kofferraum aber schließlich doch ein altbekanntes Geräusch – und nachdem ich die Heckklappe geöffnet und einen Blick durch das Sichtfenster der Faltbox geworfen habe, sehe ich, dass einer der Welpen – die jüngste Hündin – ganz grün um die Nasenspitze ist. Der Rest: schläft. Und schläft auch gleich weiter, als alle zusammen zurück im Haus sind.
Um halb acht habe ich endlich die Mails beantwortet, den Abwasch erledigt und Staub gesaugt – zwar die drei erwachsenen Hunde und die Welpen gefüttert, selbst aber noch immer nichts gegessen. Bis halb elf muss ich mich noch wach halten – den Auslauf für die Nacht vorbereiten, noch einmal durchwischen und den Welpen die zweite Wurmkur verabreichen – bis halb elf ist es eine halbe Ewigkeit.
Sechzehn Stunden hat jeder Tag in den letzten Wochen der Welpenzeit. Sechzehn Stunden, die viel Arbeit bedeuten und kaum eine ruhige Minute lassen. Und lohnend? Es gibt zweifelsohne lohnendere Beschäftigungen. Aber ganz sicher kaum schönere.
© Johannes Willwacher