Wie erlebt ein fünf Wochen alter Welpe die Welt? Und wie macht er sich das Unbekannte vertraut? Über Großes und Helles – und die Namen der Dinge.
»Kalt« bläst mir um die Nase, als mich »Groß« auf dem Arm ins »Hell« trägt. Auf dem Arm bleibe ich aber nicht lange, denn nach einigen Schritten bleibt »Groß« stehen und setzt mich ab. Ich schaue mich um. Das »Hell« ist anders als alles, was ich bisher gesehen habe, und weil ich für das Andere noch keinen Namen habe, muss ich mich anstrengen, um einen Namen zu erfinden. Mama sagt nämlich, dass man vor Dingen, die einen Namen haben, keine Angst haben muss.
Das, was sich unter meinen Pfoten befindet und bei jedem Schritt zwischen die Zehen drängt, nenne ich »Lustig«. Das nicht bloß, weil es kitzelt – die feinen, braunen Krümel mehr als die festen, großen Klumpen –, sondern auch, weil es neu und lustig riecht und mich mit breitem Grinsen aufzufordern scheint, meine Nase tief hineinzustecken. Ich möchte wetten, dass man es essen kann und es auch ebenso lustig schmeckt. Mama sagt, dass man fast alles essen kann, man sich dabei nur nicht erwischen lassen darf. Ob das auch für die großen und kleinen Dinge gilt, die ihre Köpfe – die mal weiß, mal grün sind – aus dem »Lustig« heraus strecken? Weil alles, was es gibt, einen Namen braucht – selbst Dinge, die so klein sind, dass ich sie mit meinen Pfoten zertreten kann –, beschließe ich, sie »Witzig« zu nennen. Das passt gut zu ihnen, denn wenn das »Kalt« von oben kommt, dann schaukeln und biegen sie sich so, als habe man sie zum Lachen gebracht.
»Groß« bringt mich auch oft zum Lachen, außer vielleicht, wenn er schimpft. Dann nennt er mich »Schlimm« oder »Schlimm-Schlimm« und macht ein ganz böses Gesicht. Ich glaube aber, dass weder das eine, noch das andere mein Name ist, weil »Groß« auch meine Brüder und Schwestern so nennt und wir nicht alle den gleichen Namen haben können. Mama sagt, das ginge nur bei »Würstchen« – was auch immer das sein mag –, dass es bei »Würstchen« aber nicht darauf ankäme, wie sie hießen, und ob sie groß oder klein seien, sondern nur auf den Geschmack. Weil Mama schon groß ist – nicht so groß wie »Groß«, aber beinahe –, und in ihrem Leben schon viele »Würstchen« gegessen hat, glaube ich ihr das. Mama sagt aber auch, dass man im »Hell« keine »Würstchen« findet, dass »Würstchen« im »Kühlschrank« geboren werden – was auch immer das nun schon wieder ist – und dort darauf warten, dass jemand kommt und sie isst. Ha! Mama muss sich geirrt haben. Ich glaube nämlich, ich habe gerade eines gefunden.
Drei Schritte vor mir schiebt sich ein »Würstchen« aus dem »Lustig«. Es ist lang und dünn, hat weder Kopf, noch Beine, und ringelt sich umständlich auf das »Witzig« zu. Ich traue meinen Augen kaum – muss mich schütteln, um die Gedanken neu zu ordnen –, erinnere mich, dass man vor nichts, das man beim Namen kennt, Angst haben muss, und hebe schließlich erst die eine, dann die andere Pfote, um dem »Würstchen« nachzuschleichen. Jenes denkt aber gar nicht daran, auf mich zu warten, kriecht immer weiter, immer tiefer in das »Witzig« hinein, und weil mir Mamas Worte noch in den Ohren klingen – »Bei einem Würstchen entscheidet allein der Geschmack« –, beschließe ich endlich, mir die Beute zu holen. Ich senke den Kopf und die Vorderpfoten ab, wedle mit der Rute, dann setze ich zum Sprung an. Und erstarre.
Wie aus dem nichts ist ein Ding vor mir gelandet – kleiner als ich zwar, dafür wendig und flink –, ein schwarzes Ding, das auf seinen beiden dünnen Beinchen aufgeregt hin und her springt und dabei auf das Scheußlichste schrillt und schimpft. Während ich noch überlege, wie ich es nennen soll – kein anderer Name als »Laut« scheint mir angemessen –, hat es sich das »Würstchen« gepackt und ist verschwunden. Ich bleibe enttäuscht und ohne Beute zurück. Zeit, um dem »Würstchen« nachzuweinen bleibt mir jedoch nicht, denn im nächsten Augenblick hat mich »Groß« schon wieder hoch genommen und auf seinen Arm gesetzt. Ich drücke die Nase in das »Weich«, das vertraut und ein wenig rauchig riecht, und unter dem Schaukeln der Schritte merke ich, wie meine Augen immer schwerer werden. Mama sagt, dass es noch viel zu entdecken gibt und ich mir noch viele Namen mehr werde ausdenken müssen. Müde wie ich bin, mögen »Groß« und »Laut«, »Lustig« und »Hell«, »Witzig« und »Weich« fürs Erste genügen. Und »Ella«, vielleicht. Das ist nämlich mein ganz eigener Name.
Nicht nur Ella, unsere Erstgeborene, hat endlich ihren Rufnamen bekommen, auch bei den übrigen vier Welpen – bei Elvis, Jill, Enya und Tyrion – ist in der vergangenen Woche die Entscheidung gefallen, wie sie heißen sollen. Und wir? Wir schauen den Fünfen beim Spielen im Garten zu – und beginnen zu verstehen, was es heißt eine Ella, ein Elvis, eine Jill, eine Enya und ein Tyrion zu sein.
© Johannes Willwacher