26|03|2017 – Unsere Border Collie Welpen sind fünf Wochen alt
26|03|2017 – Unse­re Bor­der Col­lie Wel­pen sind fünf Wochen alt

Wie erlebt ein fünf Wochen alter Welpe die Welt? Und wie macht er sich das Unbekannte vertraut? Über Großes und Helles – und die Namen der Dinge.

»Kalt« bläst mir um die Nase, als mich »Groß« auf dem Arm ins »Hell« trägt. Auf dem Arm blei­be ich aber nicht lan­ge, denn nach eini­gen Schrit­ten bleibt »Groß« ste­hen und setzt mich ab. Ich schaue mich um. Das »Hell« ist anders als alles, was ich bis­her gese­hen habe, und weil ich für das Ande­re noch kei­nen Namen habe, muss ich mich anstren­gen, um einen Namen zu erfin­den. Mama sagt näm­lich, dass man vor Din­gen, die einen Namen haben, kei­ne Angst haben muss.

Das, was sich unter mei­nen Pfo­ten befin­det und bei jedem Schritt zwi­schen die Zehen drängt, nen­ne ich »Lus­tig«. Das nicht bloß, weil es kit­zelt – die fei­nen, brau­nen Krü­mel mehr als die fes­ten, gro­ßen Klum­pen –, son­dern auch, weil es neu und lus­tig riecht und mich mit brei­tem Grin­sen auf­zu­for­dern scheint, mei­ne Nase tief hin­ein­zu­ste­cken. Ich möch­te wet­ten, dass man es essen kann und es auch eben­so lus­tig schmeckt. Mama sagt, dass man fast alles essen kann, man sich dabei nur nicht erwi­schen las­sen darf. Ob das auch für die gro­ßen und klei­nen Din­ge gilt, die ihre Köp­fe – die mal weiß, mal grün sind – aus dem »Lus­tig« her­aus stre­cken? Weil alles, was es gibt, einen Namen braucht – selbst Din­ge, die so klein sind, dass ich sie mit mei­nen Pfo­ten zer­tre­ten kann –, beschlie­ße ich, sie »Wit­zig« zu nen­nen. Das passt gut zu ihnen, denn wenn das »Kalt« von oben kommt, dann schau­keln und bie­gen sie sich so, als habe man sie zum Lachen gebracht.

»Groß« bringt mich auch oft zum Lachen, außer viel­leicht, wenn er schimpft. Dann nennt er mich »Schlimm« oder »Schlimm-Schlimm« und macht ein ganz böses Gesicht. Ich glau­be aber, dass weder das eine, noch das ande­re mein Name ist, weil »Groß« auch mei­ne Brü­der und Schwes­tern so nennt und wir nicht alle den glei­chen Namen haben kön­nen. Mama sagt, das gin­ge nur bei »Würst­chen« – was auch immer das sein mag –, dass es bei »Würst­chen« aber nicht dar­auf ankä­me, wie sie hie­ßen, und ob sie groß oder klein sei­en, son­dern nur auf den Geschmack. Weil Mama schon groß ist – nicht so groß wie »Groß«, aber bei­na­he –, und in ihrem Leben schon vie­le »Würst­chen« geges­sen hat, glau­be ich ihr das. Mama sagt aber auch, dass man im »Hell« kei­ne »Würst­chen« fin­det, dass »Würst­chen« im »Kühl­schrank« gebo­ren wer­den – was auch immer das nun schon wie­der ist – und dort dar­auf war­ten, dass jemand kommt und sie isst. Ha! Mama muss sich geirrt haben. Ich glau­be näm­lich, ich habe gera­de eines gefunden.

Drei Schrit­te vor mir schiebt sich ein »Würst­chen« aus dem »Lus­tig«. Es ist lang und dünn, hat weder Kopf, noch Bei­ne, und rin­gelt sich umständ­lich auf das »Wit­zig« zu. Ich traue mei­nen Augen kaum – muss mich schüt­teln, um die Gedan­ken neu zu ord­nen –, erin­ne­re mich, dass man vor nichts, das man beim Namen kennt, Angst haben muss, und hebe schließ­lich erst die eine, dann die ande­re Pfo­te, um dem »Würst­chen« nach­zu­schlei­chen. Jenes denkt aber gar nicht dar­an, auf mich zu war­ten, kriecht immer wei­ter, immer tie­fer in das »Wit­zig« hin­ein, und weil mir Mamas Wor­te noch in den Ohren klin­gen – »Bei einem Würst­chen ent­schei­det allein der Geschmack« –, beschlie­ße ich end­lich, mir die Beu­te zu holen. Ich sen­ke den Kopf und die Vor­der­pfo­ten ab, wed­le mit der Rute, dann set­ze ich zum Sprung an. Und erstarre.

Wie aus dem nichts ist ein Ding vor mir gelan­det – klei­ner als ich zwar, dafür wen­dig und flink –, ein schwar­zes Ding, das auf sei­nen bei­den dün­nen Bein­chen auf­ge­regt hin und her springt und dabei auf das Scheuß­lichs­te schrillt und schimpft. Wäh­rend ich noch über­le­ge, wie ich es nen­nen soll – kein ande­rer Name als »Laut« scheint mir ange­mes­sen –, hat es sich das »Würst­chen« gepackt und ist ver­schwun­den. Ich blei­be ent­täuscht und ohne Beu­te zurück. Zeit, um dem »Würst­chen« nach­zu­wei­nen bleibt mir jedoch nicht, denn im nächs­ten Augen­blick hat mich »Groß« schon wie­der hoch genom­men und auf sei­nen Arm gesetzt. Ich drü­cke die Nase in das »Weich«, das ver­traut und ein wenig rau­chig riecht, und unter dem Schau­keln der Schrit­te mer­ke ich, wie mei­ne Augen immer schwe­rer wer­den. Mama sagt, dass es noch viel zu ent­de­cken gibt und ich mir noch vie­le Namen mehr wer­de aus­den­ken müs­sen. Müde wie ich bin, mögen »Groß« und »Laut«, »Lus­tig« und »Hell«, »Wit­zig« und »Weich« fürs Ers­te genü­gen. Und »Ella«, viel­leicht. Das ist näm­lich mein ganz eige­ner Name.

Nicht nur Ella, unse­re Erst­ge­bo­re­ne, hat end­lich ihren Ruf­na­men bekom­men, auch bei den übri­gen vier Wel­pen – bei Elvis, Jill, Enya und Tyri­on – ist in der ver­gan­ge­nen Woche die Ent­schei­dung gefal­len, wie sie hei­ßen sol­len. Und wir? Wir schau­en den Fün­fen beim Spie­len im Gar­ten zu – und begin­nen zu ver­ste­hen, was es heißt eine Ella, ein Elvis, eine Jill, eine Enya und ein Tyri­on zu sein.

© Johannes Willwacher