Viereinhalb Wochen sind Nells letzte Welpen alt, noch einmal vier Wochen und sie werden bereit für den Auszug sein: warum sich unter das Glück, einen Wurf aufzuziehen, bisweilen Wehmut mischt.
Liebes Tagebuch,
als erstes fällt mir auf, dass ich Haare gelassen habe. Wenn ich mich im Schlafzimmer schräg vor den Spiegel stelle, habe ich das gut im Blick. Was vor vier Wochen noch üppig und glänzend war, scheint sich nun immer mehr auszudünnen und – gerade dort, wo die Welpenpfoten beim Trinken ansetzen – bereits so weit ausgefallen zu sein, dass die nackte Haut durchscheint. Schlank, könnte man sagen – und schlanker geworden bin ich dann wohl auch. Nicht, dass das nötig gewesen wäre. Aber man kann einfach keinen Wurf durchfüttern und denken, dass das spurlos an einem vorüber geht. Zumindest dann nicht, wenn man es richtig machen will. Es mag Hündinnen geben, denen das nicht gelingt – solche, die sich beim Säugen langweilen und kaum fünf Minuten in der Wurfkiste aushalten, oder solche, die nichts lieber tun würden, als das Putzen Putzen sein zu lassen und spielen zu gehen – und ganz sicher ist nicht jede Hündin dazu bestimmt, Mutter zu sein. Ich schon. Ohne Wenn und Aber.
Als zweites sind es die grauen Haare, die mir auffallen, die immer deutlicher das schwarze Fell um meine Augen durchsetzen, mich einerseits reif und weise wirken lassen, mir andererseits zu verstehen geben, dass nicht nur die Welpen, sondern auch die Zeit nicht spurlos an mir vorüber gegangen ist. Meine Menschen sagen, es sei an der Zeit für mich in Rente zu gehen, in Zuchtrente, meinen sie, und mich nach drei Würfen, denen ich (ganz so wie meine Mutter und deren Mutter davor) eine ganz überragende Mutter gewesen bin, zu erholen und damit abzufinden, dass dies meine letzten Welpen sind. Dass mir das Rentnerleben nicht gefallen wird, glaube ich kaum. Dass ich es vermissen werde, mich zu kümmern – meine Welpen nicht bloß groß und stark zu füttern, sondern ihnen auch das Rüstzeug mitzugeben, das sie brauchen, um in der Welt, die auf sie wartet, zu bestehen – umso mehr. Achtzehn Welpen habe ich geboren – keiner krank, keinen habe ich verloren – und wenn ich nach dem Glück derer gehen darf, die meine Welpen mit sich genommen und groß gezogen haben, ist vielleicht jedes graue Haar auch ein Grund stolz auf mich zu sein.
PS: Ich bekomme noch immer viel zu wenig zu essen.
Deine Nell
Die fünfte Lebenswoche markiert bei jedem Wurf einen Wendepunkt – nicht nur, weil die Welpen in der fünften Woche vom kleinen in das große Welpenzimmer umziehen, sondern auch, weil man schlagartig begreift, dass es an der Zeit ist, rückwärts zu zählen: Halbzeit. Dieses Begreifen geht für uns bei jedem Wurf mit ein wenig Wehmut einher, bei diesem – Nells letztem Wurf – vielleicht sogar mit noch ein wenig mehr.
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