Unsere Welpen sind vier Wochen alt – höchste Zeit, um zu überlegen, wer zu welchem Menschen passen könnte: über Entscheidungen und was das Entscheiden gerne schwierig macht.
Der Dachboden ist staubig und dunkel, zugestellt mit Dingen, die niemand mehr braucht, aus den Schränken riecht es nach Mottenkugeln, nach hundertjährigem Holz aus dem Gebälk, und während es unter dem Dach im Dezember so kalt ist, dass jeder Atemstoß zu einem Wintergewitter wird, staut sich im August die Hitze darunter. Drei schmale Fenster gehen zur Straße hinaus, weit oben unter dem Spitzdach eine winzige Luke – kaum Licht – und weil selbst das Elektrische nicht ausreichen will, um jeden Winkel des Raumes zu erhellen, bleibt vieles im Schatten, manches für immer dunkel.
Wenn man als Züchter die ersten Welpenbesucher begrüßt, ist es ein wenig so, wie sich auf besagtem Dachboden zu bewegen: auch wenn man sich bemüht den Raum hell und Verborgenes sichtbar zu machen, bleiben es doch immer nur Inseln aus Licht, die man zu sehen bekommt. Hier bleibt das Auge an einem vergoldeten Stuckrahmen hängen, dort an einem Spiegel, in dem man sich schemenhaft selbst erkennt, und während man manch eines der weißen Laken lupft, die wie Gespenster über den alten Möbeln liegen, hofft man inständig, darunter möge sich kein Monster befinden.
Ich schätze, dass es kaum einen Züchter gibt, der nicht von sich behauptet, bei der Auswahl seiner Welpenkäufer äußerst gründlich vorzugehen. Jeder züchtet allein aus Leidenschaft, jeder hat Jahre der Planung investiert, um die bestmögliche Verpaarung zu realisieren, jeder zieht seine Welpen mit Liebe und Sorgfalt auf, und wird kaum riskieren, dass aus einem der Welpen, die er acht Wochen lang umsorgt hat, ein Hund wird, dem es wie einem der stockfleckigen Gemälde ergeht, die gemeinsam mit dem übrigen, unnütz gewordenen Gerümpel ihr Dasein auf dem Dachboden fristen. Ob dem immer so ist – will heißen: ob Worte manchmal nicht bloß Worte sind – sei dahingestellt, kann ich nur für mich selbst entscheiden. Und gerade das macht die Zeit zwischen der dritten und fünften Lebenswoche zur schwersten der Welpenzeit: Entscheidungen wollen getroffen werden. Welcher Welpe könnte zu welchem Namen auf der Warteliste passen? Was genau macht diesen Welpen, was diesen Bewerber aus? Wem schenkt man sein Vertrauen?
Der Dachboden ist ein dunkler, geheimnisvoller Ort. Große und kleine Kisten stapeln sich in allen Ecken, die lange schon grau ausgeblichenen Eichendielen knarren bei jedem Schritt. Als Kind hätte man sich gefürchtet, hätte Hexen, Wölfe und Räuber in den Wänden vermutet und sich kaum allein, nur mit einer Taschenlampe auf den Boden gewagt. Wenn man zu züchten beginnt, meint man gerne zu wissen, was wo steht und auf welche Stolperfallen zu achten ist, muss aber oftmals erkennen, was man nicht beachtet, übersehen hat. Wem schenkt man nun also sein Vertrauen? Und wer einem seines? Denn auch für den anderen ist man – so viel steht fest – für den Augenblick bloß eines der Dinge, die dort im Dunkel zwischen den Spinnweben wohnen
In der vergangenen Woche sind einige der besagten Entscheidungen gefallen und die ersten unserer fünf Border Collie Welpen haben nicht nur ihre Menschen gefunden, sondern auch ihren Rufnamen bekommen. Die übrigen müssen sich noch ein wenig gedulden, bis auch sie wissen, wie ihr Name lauten soll.
Entscheiden zu müssen bedeutet aber nicht nur Freude, denn leider musste ich bei diesem Wurf auch sehr viele Träume zerplatzen lassen: bei keinem unserer vorangegangenen Würfe haben wir so viele Anfragen gehabt und so viele unglaublich nette Menschen kennengelernt – das überwältigt zweifelsohne, überfordert aber bisweilen auch. Man sagt niemandem gerne ab, dem man gerne sein Vertrauen geschenkt, gerne einen Welpen anvertraut hätte.
© Johannes Willwacher