Warum spielen Welpen? Und was spielen sie da genau? Das und mehr entdecken wir in der vierten Lebenswoche unserer Border Collie Welpen …
Gähnend lässt sich die junge Hündin aus der Wurfkiste auf den Boden vor ihr rutschen, die Vorderpfoten hält sie weit von sich gestreckt. Ein wenig Mühe kostet es sie schon, sich auf alle Viere zu stellen – kaum dass sie einen Schritt getan hat, geben die Hinterläufe nach, die auf dem glatten Boden einfach keinen Halt finden wollen, und sie muss aufs Neue ansetzen. Kurz denke ich darüber nach, ihr auf die Beine zu helfen – sie hoch zu nehmen und sicher abzusetzen –, schließlich gelingt es ihr aber doch, das kurze Stück selbständig zu bewältigen, das sie von der Wurfkiste, die sie als letzte verlassen hat, zu dem weißen Laken zurücklegen muss, auf dem sich ihre vier Wurfgeschwister bereits zwischen meinen gestreckten Beinen tummeln. Dort angekommen, nähert sie sich neugierig meinem nackten Fuß, lässt zuerst die Nase über dem Knöchel kreisen und beginnt anschließend zaghaft, meine Zehen abzulecken. Die winzige Welpenzunge kitzelt – lachend wehre ich die zudringliche Hündin ab und rolle ihr stattdessen einen blauen Ball zu, der kurz vor ihrer Schnauze zum Liegen kommt. Unschlüssig legt sie den Kopf darauf ab, verliert dabei aber das Gleichgewicht und lässt den Ball – der vielleicht auch ein ganz brauchbares Kissen abgegeben hätte (woher soll ein Welpe auch den Unterschied kennen?) – unfreiwillig weiter rollen. Sie schaut fragend hinterher.
Spielen ist (nicht) gleich Spielen
Was hat ein Welpe, der sich selbst in den Schwanz beißt, mit einem Welpen gemeinsam, der einen anderen auffordernd fixiert? Bei beiden handelt es sich um Spielarten, die Welpen im Zuge ihrer Verhaltensentwicklung mehr oder weniger deutlich zeigen. Während das Solitärspiel des Erstgenannten bereits früh auftritt (als Solitär- oder Bewegungsspiele werden all jene Spielformen bezeichnet, die ohne die Beteiligung eines Artgenossen auskommen, sich also mit »sich selbst«, dem eigenen Körper befassen), gewinnen Objekt- und Sozialspiele erst später an Bedeutung. Das Sozialspiel umfasst alle Spielhandlungen, die auf einen oder mehrere Sozialpartner – sowohl Artgenossen, als auch Artfremde – gerichtet sind, und lässt sich in Kampf-, Beiß- und Verfolgungsspiele aufgliedern, die jeweils auch einen Objektbezug aufweisen können.
Wenn die Neugier einen Welpen in der vierten Lebenswoche antreibt, das Wurflager immer öfter zu verlassen, sind auch die ersten spielerischen Auseinandersetzungen mit der Umwelt zu beobachten. Hat sich der Welpe bisher fast ausschließlich mit sich selbst befasst und den eigenen Körper erkundet, beginnt er nun verstärkt, sich fremden Reizen zuzuwenden und neben den Wurfgeschwistern auch unbelebte Dinge – Bälle und andere Spielzeuge – zu entdecken. Man könnte das als gegeben ansehen – denken: »Welpen spielen nun mal« – und nicht weiter hinterfragen. Die Frage, warum Welpen spielen, lohnt aber allemal.
Nach dem niederländischen Kulturanthropologen Johan Huizinga ist das Spiel als »eine freiwillige Handlung« definiert, »die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen […] nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des Andersseins als das gewöhnliche Leben« (in: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, 1939). Für spielende Welpen gilt diese Definition in besonderem Maße, denn im Spiel wird nicht nur die richtige Ausführung der angeborenen Verhaltensweisen eingeübt – dazu zählen sowohl motorische als auch kognitive Fähigkeiten –, sondern auch die Verhaltensregeln des sozialen Umgangs erlernt, ohne das ein mittelbarer Ernstbezug gegeben ist. Wenn sich zwei Welpen brummend gegenübersitzen, sich balgen oder spielerisch so lange in den Nacken beißen, bis einer zu quietschen beginnt, bedeutet das also erst einmal bloß: hier wird gelernt – was erlaubt ist und was nicht.
Während ich die beiden Rüden dabei beobachte, wie sie vergnügt übereinander kugeln – mal gewinnt der eine, mal der andere die Oberhand –, macht sich eine der Hündinnen an dem schwarzen Objektivdeckel zu schaffen, den ich auf dem weißen Laken habe liegen lassen. Zuerst tippt sie diesen zögernd mit den Pfoten an, weicht dann ein kleines Stück zurück, um schließlich den Vorderkörper abzusenken und das absonderliche Ding mit einem – zugegeben, noch nicht ganz ausgewachsenen – Bellen zu bedenken. Der Deckel aber denkt gar nicht daran, die Spielaufforderung zu beantworten – infolgedessen bleibt er liegen und wird sich anderen Dingen zugewandt: dem leeren Kaffeebecher mit dem blauen Muster, dem Radio, das gegenüber singt und rauscht, dem Bett, unter dem es sich zwischen Staub und Flusen gut verstecken lässt, und immer wieder meinen Füßen. »Mit nicht einmal vier Wochen«, denke ich und wackle mit den Zehen, »ist ein Welpe das größte, stärkste, mutigste unter allen Tieren – Angst kennt er noch nicht, Abenteuer ist alles«. Und die ganze große, kleine Welt ein Spielplatz.
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