Hundezüchter und soziale Netzwerke passen ziemlich gut zusammen – und das nicht nur, weil sie vieles erleichtert haben. Ist durch Facebook und Co. aber wirklich alles besser geworden?
Vor einigen Tagen bekam ich die automatisierte Benachrichtigung, sieben Jahre zuvor Facebook beigetreten zu sein: ein kleiner, animierter Clip, dekoriert mit fliegenden Ballons, Kerzen und manchem längst aus dem Gedächtnis – nein, besser – der Timeline verschwundenen Hundefoto. Nell mit einem Grashalm auf der Nase, Nell bei ihrer ersten Ausstellung, Nell und Ida – kaum zehn Wochen alt – beim morgendlichen Spielen im Bett. Mein erster Gedanke spiegelte dann auch beinahe den Beweggrund wider, der mich sieben Jahre zuvor dazu veranlasste, dem Netzwerk trotz einiger Bedenken beizutreten: Hunde, immer nur Hunde.
Daran hat sich in den vergangenen sieben Jahren wenig geändert – im Gegenteil, drängte sich mir beim Anschauen des kleinen, bunten Clips der Gedanke auf, dass ein Verzicht kaum noch möglich ist, man sich über vieles, das in der Zucht- und Hundeszene geschieht, nur informieren kann, wenn man selbst mitmischt, mitteilt und mitliked. Von Showerfolgen erfährt man, kaum dass der Richter dem Handler gratuliert hat, Wurfmeldungen werden weltweit im Livestream aktualisiert – und seien es Deckrüden im Ausland oder Welpenanfragen: was davon wird nicht durch Likes, nicht durch Facebook organisiert? »Ist man als Züchter abhängig von Sozialen Netzwerken?«, fragte ich mich. Und: »Inwiefern wird die Meinung über Zuchthunde und Züchterkollegen – das was gut, was schlecht, was fahrlässig ist – längst über Likes und Freundschaftsanfragen, über private Nachrichten und Gruppen definiert?«
Deine Freunde machen dich zu dem, der du bist!
Facebook-Slogan zum Friends-Day 2017
Man muss kein Kommunikationswissenschaftler sein, um zu verstehen, dass Facebook nicht nur unsere Kommunikation, sondern in weiten Teilen auch unsere Wahrnehmung verändert hat. »Das könnte dir auch gefallen«, schlägt das Netzwerk vor – und verengt damit zunehmend unsere Weltsicht. Der zugrundliegende Algorithmus verstärkt den virtuellen Umgang mit Gleichgesinnten, indem er Informationen anhand des Klickverhaltens filtert und im Newsfeed nur noch Ausgewähltes präsentiert: Hunde, immer nur Hunde, heißt das zum einen – zum anderen aber auch, dass die Relevanz derer, mit denen wir viel oder wenig interagieren, in Abhängigkeit dazu steigt oder fällt.
Die Posts einer Kommilitonin, die ich zwar seit dem Studium nicht mehr gesehen habe, der ich aber dennoch – dank der Erinnungsfunktion des Netzwerks – jedes Jahr zum Geburtstag gratuliere, gehören beispielsweise zur letzteren Kategorie: da wir nicht oder nur wenig miteinander interagieren – ich keinen ihrer Beiträge kommentiere, sie keines meiner Fotos liked – streicht der Algorithmus den einen aus der Wahrnehmung des anderen. Umgekehrt heißt das: wer bei vielen vieles liked und kommentiert, darf sich ausrechnen, die eigenen Beiträge in ebenso vielen fremden Newsfeeds wiederzufinden, die eigene Relevanz durch zahlreiche Likes und Kommentare bestätigt zu sehen. Was mehr als 500 Likes bei Facebook hat, das kann ja nicht so schlecht sein. Oder?
Das Internet wird kein Massenmedium –
weil es in seiner Seele keines ist.
Matthias Horx, in: Der kurze Sommer der @narchie, Die Welt, 24.03.2001
Als ich mich an den Schreibtisch gesetzt und mit den Vorarbeiten zu diesem Artikel begonnen habe, war mein erster Gedanke, dass ich mir – als jemand, der erst seit wenigen Jahren im Zuchtgeschehen aktiv ist – kaum ein Bild davon machen kann, wie stark sich die Szene tatsächlich durch die direktere Kommunikation, den schnelleren Informationsfluss verändert hat. Ich möchte allerdings mutmaßen, dass beides großen Einfluss genommen und sich – indem es vielen eine Stimme gegeben hat, die vorher kaum gehört wurden – in vielen Bereichen bemerkbar gemacht hat.
Ein Beispiel dafür könnten rassespezifische Erkrankungen sein – beim Border Collie insbesondere Epilepsie –, bei denen in den vergangenen Jahren allem Anschein nach ein Anstieg stattgefunden hat, bei denen man aufgrund fehlender Daten und Statistiken aber in Frage stellen muss, ob dem wirklich so ist. Haben uns die Sozialen Netzwerke vielleicht erst für dieses Problem sensibilisiert? Hat uns der direktere Austausch erst vor Augen geführt, was längst bekannt gewesen, sonst verschwiegen, nicht erfasst worden ist? Fakt ist wohl, dass solche Erkrankungen nicht neu sind – sich aber Informationen in einem Netzwerk, in dem jeder mit jedem in Kontakt treten, sich öffentlich zu allem äußern kann, sehr viel weiter verbreiten. »Wie hat das vor zehn, vor fünfzehn Jahren ausgesehen«, frage ich mich, »mehr Transparenz muss doch – ganz allgemein – ein für alle nützlicher, ein großer Vorteil sein«. Oder?
Man kann nicht nicht kommunizieren.
Paul Watzlawick, in: Pragmatics of Human Communication (1967)
Es sind zweifelsohne nicht nur Vorteile, die das Netzwerk mit sich bringt – im Gegensatz, wird es auch oft genug missbraucht, um konkurrierende Züchter zu diffamieren, in den Kommentarspalten gezielt Stimmung zu machen – um zu beleidigen, zu bedrohen oder zu beschimpfen. Falschen Tatsachenbehauptungen lässt sich kaum entgegenwirken, wo ein Wort gegen das andere steht – wo sich Neid und Missgunst, denen man auf jeder Hundeausstellung begegnet, ganz unverhohlen im Netz fortsetzen. Was ist noch freie Meinungsäußerung? Wo beginnt Hassrede? Und wie verlässlich sind Fakten, von denen man nur über Dritte erfährt? Facebook – das sind Fake-News und Fake-Profile, falsche Freunde unter Pseudonym. Mehr Informationen bedeuten also nicht ausschließlich nur mehr Wahrheit – mitunter geben sie wohl auch den Lügen mehr Raum.
»Sieben Jahre«, denke ich und scrolle durch meine Chronik, »hat mich das Netzwerk verändert, mich bereichert, hat es mich vorsichtiger gemacht?« In sieben Jahren hat es vieles erleichtert – der Austausch mit den Käufern nach der Abgabe eines Welpen gehört genauso wie der Kontakt zu Züchterkollegen dazu –, aber wohl beinahe ebenso oft zu Konflikten, zu Missverständnissen, zu Frustsituationen geführt. In sieben Jahren ist manche Freundschaft gewachsen, manche Freundschaft beendet, von der Freundesliste entfernt und blockiert worden. In sieben Jahren habe auch ich mir oftmals leichtfertig eine Meinung gebildet, habe antizipiert ohne zu verifizieren – habe ganz ohne Zweifel auch das eine oder andere Wort geschrieben, das nicht hätte sein müssen, mir leid tut, sich nicht mehr aus der Welt schaffen lässt. »Sieben Jahre«, denke ich und drehe das Radio lauter, »Welcome to the Hotel California« heißt es da. Und während ich den Rechner herunterfahre und sich die Hunde ungeduldig um mich drängen, singen die Eagles: »You can check out any time you like, but you can never leave«.
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© Johannes Willwacher