I never made promises lightly and
there have been some that I’ve broken,
but I swear in the days still left,
we’ll walk in fields of gold.
– »Fields of Gold«, Sting (1993)
»Zellen, die sich häufig teilen, werden durch ionisierende Strahlung stärker geschädigt also solche, die selten oder keine Teilungen durchlaufen«, sagt die Tierärztin, die uns schräg gegenüber sitzt, und lässt den Kugelschreiber klicken, den sie zwischen den Fingern ihrer linken Hand dreht, »das gilt insbesondere für Tumorzellen, die solche Schäden sehr viel schlechter beheben können, infolgedessen sterben sie ab«. Sie legt den Kugelschreiber aus der Hand und wendet sich dem Bildschirm zu, der zu ihrer Rechten auf dem weißen Schreibtisch steht. »Da sich im Bestrahlungsfeld kritische Strukturen befinden – das heißt, Gewebe, das empfindlich auf die Strahlung reagiert –, ist zur weiteren Planung eine Computertomographie angezeigt, anhand der die Größe und Richtung des Bestrahlungsfelds berechnet werden kann«. Sie blickt auf den Bildschirm, auf dem sich immer weitere Fenster öffnen. »Gleichzeitig werden eine Kopfmaske und ein Vakuumkissen angefertigt, die sicherstellen, dass ihre Hündin während der Bestrahlung immer gleich gelagert wird«, sagt sie, zieht die Tastatur näher zu sich heran und beginnt zu tippen, »für den Planungstermin sollten sie deshalb etwas mehr Zeit einrechnen, für die Bestrahlungen selbst – wir nutzen für die Behandlung bloß eine kurze, oberflächliche Gasnarkose, ihre Hündin ist also schnell wieder auf den Beinen – gute zwei Stunden«. Im weiteren Gespräch werden Termine vereinbart, an denen die in vier Fraktionen aufgeteilte Nachbestrahlung des Tumorareals durchgeführt werden soll. »Donnerstags, jeweils zehn Uhr«, notiert die Tierärztin schließlich, »haben Sie abschließend noch irgendwelche Fragen?« Prognosen, Erfahrungswerte, Überlebenszeit, denke ich, weiß aber längst, dass es darauf keine eindeutige Antwort geben wird, frage stattdessen also nach möglichen Nebenwirkungen der Bestrahlung.
Nach zwei von vier Bestrahlungen machen sich die besagten Nebenwirkungen bei Ida schließlich bemerkbar: neben einem Atemgeräusch, das ich als akute Reaktion auf die Bestrahlung werte, beeinträchtigen sie zunehmend starke Schluckbeschwerden. Dass auch das palliative Protokoll zu einer vorübergehenden Beschränkung der Lebensqualität führen kann, hatten wir bereits im Vorgespräch erfahren – hier war insbesondere auf die Möglichkeit einer Rachen- und Kehlkopfentzündung hingewiesen worden. Unsere Bedenken, die Behandlung fortzusetzen, wiegelt die Klinik jedoch ab, erklärt, dass vergleichbare Nebenwirkungen bei vielen Hunden unter der Bestrahlung zu erwarten seien und verschreibt stattdessen zwei zusätzliche Medikamente, die der Entzündung entgegenwirken sollen: ein Antibiotikum und Cortison.
Am Wochenende nach der dritten Bestrahlung werde ich nachts von einem Hund geweckt, der heiser nach Luft ringt: Ida zittert am ganzen Körper, wirft den Kopf in den Nacken und versucht verzweifelt, sich das Atmen leichter zu machen, panisch würgt sie Schaum und Speichel hervor. Ich weiß mir nicht anders zu helfen, als beruhigend auf sie einzuwirken, umklammere die zitternde Hündin also mit beiden Armen, atme ruhig und gleichmäßig und versuche, ihr meinen Rhythmus aufzuzwingen. Wie lange wir so dort liegen, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, allein, dass ich währenddessen ausreichend Zeit habe, um alle denkbaren Szenarien im Kopf durchzuspielen. Ihr Widerstand lässt irgendwann nach, ihr Atem wird ruhiger – in meinem Arm schläft sie schließlich ein.
»Übelkeit und Erbrechen«, sagt der Tierarzt, als ich ihm am Donnerstagmorgen in den Besprechungsraum folge, »können mit dem Cortison zusammenhängen«. Zuvor habe ich ihm die vergangenen Tage geschildert, erwähnt, dass Ida kaum etwas bei sich behalten, sich nachts zehn, zwölf, vielleicht fünfzehn Mal übergeben habe, und die Vermutung angestellt, das Antibiotikum könne Schuld daran sein. Während Ida sich ängstlich unter meinen Stuhl zwängt, fertigt der Tierarzt weitere Rezepte aus, empfiehlt, das Cortison baldmöglichst auszuschleichen, dann sprechen wir über die weitere Behandlung. »Da Sie bereits angegeben haben, dass eine Chemotherapie für Sie nicht in Frage kommt, bleibt als weiteres Instrument nur die engmaschige Kontrolle«, ich nicke, dann reicht er mir die Hand und nimmt Ida mit, die ihm nur widerwillig durch die Milchglastür am Ende des Flures folgt. »Ein letztes Mal«, sage ich und gehe in die entgegengesetzte Richtung davon.
Eine Stunde später sitze ich in einem Warteraum auf der anderen Seite des Flures, genauso weiß und kahl, wie alle anderen, auf dem Boden ein mit schwarzem Leder bezogenes Polster, auf dem ein blaues Handtuch liegt. Durch den Türspalt zu meiner Rechten kann ich vorbeieilende Ärzte in hellblauen Kitteln, dann und wann ein bekanntes Gesicht, und schließlich einen silbernen Rollwagen sehen, auf dem Ida hereingeschoben wird. Sie hebt den Kopf, verdreht die Augen, versucht vergeblich aufzustehen. Ich helfe der Tierärztin, die Hündin auf den Boden zu heben, setze sie auf dem Handtuch, auf dem Polster ab, dann verabschiedet sich die Ärztin und wir bleiben alleine zurück. Ida schnauft, dann beginnt sie mein Ohr auszulecken. Und zum ersten Mal seit Wochen fühle ich mich ruhig.
Die Wochen der Behandlung waren für uns keine leichte Zeit – sehr viel leichter hat sie uns aber vor allen Dingen die liebe Uta gemacht, die uns mal mit, mal ohne Buddy, zu allen Terminen in Hofheim begleitet, mit uns im Wartezimmer gesessen, Mut gemacht und abgelenkt hat. Thank you for being a friend!
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