Was haben Schwangere und Schubladen gemeinsam? Dieser und anderen Fragen gehen wir in der fünften Woche von Nells Trächtigkeit im Wurftagebuch nach …
Das Maßband ist gelb. Zwei Meter, die zu einer Spirale aufgerollt sind – mal mehr, mal weniger akkurat – die abgerollt beinahe auf die gleiche Länge kommen, wie der Küchentisch, in dessen mittlerer Schublade sie verstaut sind. Daneben Umschläge und mehrere Rollen Klebeband – klar, bunt gemustert und klassisch braun –, Kassenzettel und noch nicht abgeheftete Rechnungen, Kugelschreiber und vor Kurzem abgelaufene Medikamente, Geschenkband, rotkariert, und schließlich eine knisternde Plastiktüte, die einen Zahnabdruck in Gips enthält. Die Diskrepanz zwischen der aufgeräumten Küche und dem ungeordneten Nebeneinander im Inneren der Schublade macht mich unruhig – also nehme ich das Maßband heraus und schiebe die Lade schnell wieder zu.
Auf mein Rufen höre ich Nell vom Bett springen – abgesehen von den Mahlzeiten und Spaziergängen verbringt sie ihre Tage gerade fast ausschließlich dort –, und gleich darauf vier Pfoten, die behäbig die Stufen hinunter klackern. Auf halber Treppe bleibt sie stehen, senkt den Kopf, um unter dem Sturz der Küchentür hindurch zu lugen, und schaut mich an. Ich wedle mit dem zusammengerollten Maßband, deute auf den Fußboden und rufe noch einmal: »Nun komm schon, Dickie«. Nell bewegt sich nicht. »Wirklich?«, frage ich und schaue erst die schwarz-weiße Hündin, dann das leuchtend gelbe Stück Plastik in meiner linken Hand an. »Dass Frauen immer gleich so empfindlich reagieren müssen, wenn es um ihr Gewicht geht«, sage ich schließlich – mehr zu mir selbst, als zu der verunsichert dreinblickenden Hündin – und lege das Maßband beiseite.
Während die Föten in der fünften Trächtigkeitswoche kaum mehr als fünf Zentimeter groß sind, erinnern sie doch schon an kleine Hunde: Kopf und Rumpf sind unterscheidbar, die Krallen ausgebildet und auch das Fell hat bereits zu wachsen begonnen. In der Lendengegend der Hündin wird – bei einer durchschnittlichen Wurfstärke – nun auch eine erste Zunahme auffallen, die von Woche zu Woche deutlicher werden und den Bauch weiter runden wird: das Größenwachstum der Welpen hat gerade erst begonnen.
Nachdem ich zuerst Ida und Zion vermessen und deren Bauchumfang mit ausladender Geste in der Luft aufnotiert habe, lässt sich schließlich auch Nell dazu überreden, sich das Maßband anlegen zu lassen. »58 Zentimeter«, sage ich zufrieden, »das sind ganz genau drei Zentimeter mehr, als in der vergangenen Woche«. Nell schüttelt sich und schaut mich erwartungsvoll an. Ich muss nicht zweimal überlegen, was mir ihr Blick bedeuten soll, lasse mich gleichwohl nicht zweimal bitten und gebe jedem der drei Hunde die verdiente Belohnung, die hastig genommen und halb angekaut fortgetragen wird, klaube derweil selbst das verdrehte Maßband vom Boden auf und beginne, es langsam aufzurollen. »Fünf Wochen«, denke ich, während ich die Schublade aufziehe und das Maßband darin verschwinden lasse, »fünf Wochen schon, und keinen Schimmer, was Innen vor sich geht«. Das haben Schwangere und Schubladen gemeinsam.
Comments are closed.