Nell in der zweiten Trächtigkeitswoche: ein wenig Border Collie, ein wenig Labrador – und ganz viel Gurkenkönigin
Nell in der zwei­ten Träch­tig­keits­wo­che: ein wenig Bor­der Col­lie, ein wenig Labra­dor – und ganz viel Gurkenkönigin

Geht ein Mann in eine Metz­ge­rei und sagt:
»Ich hät­te
 ger­ne 500 Gramm Leber­wurst. Aber bit­te von der gro­ben, fet­ten«.
Dar­auf der Metz­ger:
 »Tut mir leid, die hat heu­te Berufs­schu­le«.
Lieb­lings­witz, auch nach drei­hun­dert Wie­der­ho­lun­gen noch gut

»An Nell«, höre ich mich selbst sagen, das schnur­lo­se Tele­fon zwi­schen Ohr und Schul­ter ein­ge­klemmt, »an Nell ist eigent­lich ein Labra­dor ver­lo­ren­ge­gan­gen, denn wenn es nach ihr gin­ge, bestün­de das Leben wohl nur aus Schla­fen und Essen«. Am ande­ren Ende der Lei­tung wird das mit einem Lachen quit­tiert, und auch ich lache halb­her­zig – weil kei­ne Poin­te so gut sein kann, dass sie auch nach der drei­hun­derts­ten Wie­der­ho­lung noch wit­zig ist – mit. Wäh­rend ich wei­ter rede, schie­be ich die ange­lehn­te Küchen­tür mit dem Fuß auf und bug­sie­re mich, das Tele­fon und den wei­ßen Tel­ler, den ich in der lin­ken Hand hal­te, hin­durch, will mich auch schon wie­der umdre­hen, um die Tür zu schlie­ßen, bin aber augen­schein­lich, da sich ein schwarz-wei­ßer Schat­ten durch den schma­len Spalt schiebt, doch zu lang­sam: Nell. Ich stel­le den Tel­ler – dar­auf zwei Bröt­chen­hälf­ten, die eine mit Zie­gen­kä­se, die ande­re mit Leber­wurst und Gur­ke belegt – auf der Anrich­te ab, wer­fe der Hün­din, die sich dicht an den weiß glän­zen­den Küchen­schrank drückt, einen stren­gen Blick zu, neh­me eine noch nicht ange­bro­che­ne Schach­tel Ziga­ret­ten vom Küchen­tisch und ver­las­se den Raum. Nell – die Labra­dor-Hün­din im Bor­der Col­lie-Gewand – bleibt zurück.

Bereits zu Beginn der zwei­ten Träch­tig­keits­wo­che haben die Bla­sen­kei­me, die sich aus den befruch­te­ten Eizel­len ent­wi­ckelt haben, die Gebär­mut­ter erreicht. Dort ver­wei­len sie – noch frei und unre­gel­mä­ßig ver­teilt –, wäh­rend sich der Kör­per der Hün­din durch eine gestei­ger­te Pro­ges­te­ronaus­schüt­tung auf die Ein­nis­tung der Embryo­nen in den Gebär­mut­ter­hör­nern vor­be­rei­tet. Untä­tig blei­ben die kaum einen Mil­li­me­ter gro­ßen Bla­sen­kei­me dabei aber nicht – in ihrem Inne­ren bil­den sich im Lau­fe der zwei­ten Träch­tig­keits­wo­che drei Keim­schich­ten aus, aus denen sich die Anla­gen des Wel­pen ent­wi­ckeln wer­den: das Ner­ven­sys­tem und die Sin­nes­or­ga­ne aus der äuße­ren, das Herz und das Ske­lett aus der mitt­le­ren sowie die Atmungs- und Ver­dau­ungs­or­ga­ne aus der inne­ren Schicht.

Als ich kaum fünf Minu­ten spä­ter in die Küche zurück­keh­re, fehlt nicht nur von der schwarz-wei­ßen Hün­din jede Spur, auch die Hälf­te mei­nes Abend­essens – das mit zwei Gur­ken beleg­te Leber­wurst­bröt­chen – ist ver­schwun­den. Von des­sen Exis­tenz zeu­gen nur noch ein­zel­ne Krü­mel, die sich rund um den Tel­ler auf der Anrich­te ver­tei­len, und ein kleb­ri­ger Fleck, der auf den Die­len dar­un­ter glänzt. Die zwei­te Bröt­chen­hälf­te ist vom Tel­ler her­un­ter­ge­rutscht – mut­maß­lich gescho­ben wor­den – und für die for­schen­de Hun­de­schnau­ze – nicht bloß mut­maß­lich, son­dern sehr wahr­schein­lich – uner­reich­bar geblie­ben. Dass Ida und Zion als Bröt­chen­die­be kaum in Fra­ge kom­men, ist mir längst klar, als ich die Gur­ken­kö­ni­gin, die schuld­be­wusst den Kopf senkt und wild zün­gelnd beschwich­tigt, im Schlaf­zim­mer stel­le. Ich schütt­le den Kopf, sie stößt schmat­zend auf – was viel­leicht noch kei­ne Träch­tig­keit beweist, aber immer­hin doch, dass Nell neben einem gesun­den Appe­tit auch einen aus­ge­präg­ten Sinn für Humor besitzt.

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