Erwartungshaltung: Bunte Blätter auf allen Wegen. Realität: Matsch und Pfützen überall. Und dazu ein Geruch, der in der Nase beißt.
Herbst ist, wenn die Blätter bunt und die Hunde braun werden. Wenn Gräser und Kletten den Weg vom Wegesrand hinein in die Wohnung, auf Decken und Teppiche finden, wenn sie gemeinsam mit graugeränderten Pfotenabdrücken im Putzlappen kleben und bald darauf – als ungenießbare Brühe – im brackig braunen Wischwasser schwappen. Herbst ist, wenn auf den Feldern ein letztes Mal Jauche ausgebracht wird und sich die schweren Reifen der Traktoren noch einmal tief in den dunkelbraunen Grund graben dürfen – wenn der Duft von beidem jeden Spaziergang begleitet und man von manchem das Duftigste mit nach Hause nimmt. Warum, Herbst, möchte man fragen, und warum, Hund, mit strafendem Blick. Warum, also? Weil der Herbst nun mal stinkt?
Für unsere Hunde könnte an Letzterem tatsächlich etwas Wahres dran sein, denn ihre feinen Nasen nehmen die dominierenden Gerüche in unserer Umwelt – das dürfte jedem bekannt sein – weitaus stärker wahr, als wir das tun. Allerdings – und das wird wohl jeder Hundebesitzer bestätigen, der schon einmal drei Handvoll verkrusteten Kot aus seinem Vierbeiner gebürstet hat – haben sie ein völlig anderes Verständnis davon, was stinkt und was nicht. Warum es unsere Hunde aber bisweilen genießen, sich faules Obst, Gülle oder ein verwestes Kaninchen in den Pelz zu reiben, kann auch die Wissenschaft nicht eindeutig beweisen – vielmehr spricht sie drei Theorien aus, die gleichberechtigt nebeneinander stehen.
Theorie No. 1 – oder:
Auffallen um jeden Preis
Wer sich etwas Neues leistet, der wird bewundert. Das ist nicht nur bei uns Menschen, sondern auch bei Hunden so. Ein Hund, der sich ein neues Geruchskleid überstreift, hofft also gleichwohl auf Bewunderung und Aufmerksamkeit – und weil Hunde (so die wissenschaftliche Theorie) bisweilen nicht unterscheiden, in welcher Form ihnen diese Aufmerksamkeit zuteil wird, nehmen sie dabei auch billigend die Schelte in Kauf.
Theorie No. 2 – oder:
Olfaktorisches Flecktarn
Hunde gehen nicht Spazieren, Hunde gehen auf die Jagd. Und weil sich jeder kluge Jäger unauffällig tarnt, greift auch der Hund auf eine entsprechende Tarnung zurück, um sich seiner Beute besser nähern zu können. Will heißen: was wie Fuchs riecht, scheucht den Fuchs nicht auf (und selbst wenn der Jagderfolg ausbleibt, sorgt der wilde Duft – besagt zumindest meine eigene Erfahrung – noch immer für »bewundernde« Blicke der übrigen Passagiere im Stadtbus, siehe Theorie No. 1).
Theorie No. 3 – oder:
Haste noch eine?
Man könnte es eventuell mit dem Rauchen vergleichen. Man tut es immer wieder, weiß eigentlich auch gar nicht warum, und wenn man eine Antwort darauf finden sollte, warum man es tut, würde diese vielleicht am ehesten besagen, dass man a.) Lust darauf hat und man sich b.) etwas Gutes tun will (wobei das Gute in diesem Fall genauso fraglich ist, wie der Geruch von totem Wiesel).
Ganz gleich, welcher Theorie man sich nun anschließen mag – allen dreien gemein ist, dass sie den Hund zum Opfer seiner Triebe erklären, und damit uns zu denen, die schulterzuckend hinnehmen müssen – der Hund kann schließlich nichts dafür. Willkommen also, bunte Jahreszeit. Willkommen Gräser, Kletten, Blätter und Pfützen. Wir haben Kämme und Bürsten ausgepackt und die Nasenklemmen aufgesteckt. Wir sind bereit. Komm, Herbst! Wir stinken winken dir entgegen.
© Johannes Willwacher