Urlaub mit drei Border Collies in Italien: Zwei Wochen haben wir in den Marken verbracht – die Sibillinischen Berge erkundet und im Meer gebadet. Ein Urlaubsbericht.
Durch einer einz’gen
Stunde Freuden, vergisst man
tausendjähriges Leiden.
Giambattista Basile, »Die drei Tierbrüder«
in: Das Pentamerone (1634)
Urlaub in Italien – das lässt vielleicht am ehesten an die überlaufenen Strandbäder von Rimini, die Gondeln von Venedig oder den Touristenstrom denken, der sich alljährlich von der einen zur nächsten Sehenswürdigkeit durch die Toskana schiebt. An einen Urlaub mit Hund denkt man dabei wohl eher nicht – vielleicht auch, weil sich oftmals schon die Suche nach einem für Zwei- und Vierbeiner geeigneten Ferienhaus als schwierig erweist. Wer auf den Strand verzichten und sich mit dem – zweifelsohne – beeindruckenden Panorama schneebedeckter Berge zufrieden geben kann, wird wohl in Südtirol fündig werden. Wir wollten das nicht – wir wollten Meer. Wo sucht man also? Die Antwort auf diese Frage befindet sich noch einmal fünf Fahrtstunden weiter südlich – und ist das vielleicht unbekannteste Stück Italiens: die Marken.
Le Marche – grüne Hügel, alte Städte
Zwischen Adria und Apennin gelegen, grenzen die Marken im Norden und Westen an die touristisch sehr viel besser erschlossenen Regionen der Emilia Romagna und der Toskana. Umbrien und die Abruzzen schließen sich im Süden an. Von der Küste kommend, ist die Landschaft in weiten Teilen durch sanfte Hügel geprägt, dahinter ragt die Bergkette der Monti Sibillini empor, die auf Höhen von nahezu 2.500 Metern anwächst. Während die Hafenstadt Ancona das politische und – als bedeutender Fähr- und Handelshafen – wirtschaftliche Zentrum der Region darstellt, sind es gerade die vielen kleineren Städte – Urbino, Ascoli Piceno oder Pesaro, um nur einige zu nennen –, von denen ein besonderer kultureller Reiz ausgeht: Kirchen, Klöster, Kastelle und Kunstschätze kann man vielerorts bewundern. Die bäuerliche Bodenständigkeit, die man den Marchigiani landläufig gerne nachsagt, verspricht hingegen vor allen Dingen zweierlei – nämlich: Einfachheit und Ruhe. Und genau das suchen wir.
Ciao Bella – Italienisch für Vierbeiner
Links und rechts der Straße, die über eine alte Steinbrücke auf unser Haus zu führt, zwei Häuser, in denen, als unsere einzigen Nachbarn, zwei Witwen leben. Die rechts der Straße hat Hühner und einen Schäferhund – und wenn man weder die einen gackern, noch den anderen bellen hört, sind es die Witwen selbst, die sich über die Gasse hinweg unterhalten: dass es zu Pfingsten lange nicht so kalt gewesen ist, heißt es dabei vielleicht, oder dass die Fensterläden schon wieder neu gestrichen werden müssen, man später zum Markt nach San Ginesio fahren wird, man der anderen die schönsten Grüße ausrichten oder fragen soll, ob es noch frische Eier zu kaufen gibt. Weil das alles auf italienisch geschieht, stört es nicht weiter – denn auf italienisch klingt einfach alles besser.
Selbst dem »Ape« – einem motorisierten Dreirad, das fast ausschließlich von sehr jungen oder aber sehr alten Männern gefahren zu werden scheint, und das sich auch ohne gültige Fahrerlaubnis lenken lässt –, möchte man gerne diesen besonderen Klang bescheinigen, wenn eines davon die Brücke passiert und sich anschickt, den Hang in unserem Rücken zu erklimmen, um in das nächste Dorf zu gelangen. Jenes ist nach dem Hügel benannt, auf dem es liegt – keinem besonderen, bloß einem namenlosen »Colle« –, und besteht aus drei Häusern, die sich um die schmale Dorfstraße scharen, die bald darauf in urwüchsigen Eichenwäldern verschwindet. Zu jedem der drei Häuser gehört ein Hund – ein kleiner, ein mittlerer und ein großer –, und weil allesamt männlich sind und unsere beiden Hündinnen mit dem charmantesten »Ciao Bella« begrüßt werden, zu dem der italienische Vierbeiner fähig ist, begleiten uns diese bei unseren Morgenrunden auch bloß ein kurzes Stück entlang der Dorfstraße. Es klingt eben alles ein wenig besser – aber das sagte ich ja bereits.
San Ginesio – mit gerade einmal 4.000 Einwohnern zwar kaum als Stadt zu bezeichnen, für uns jedoch die nächstgelegene – wird aufgrund des weiten Ausblicks, den man von den mittelalterlichen Befestigungswällen genießt, auch Balkon der Monti Sibillini genannt. Bei klarer Sicht ist am Horizont aber auch das Blau der Adria zu erahnen, die, etwa eine Wegstunde entfernt, nicht nur mit von Palmen und Oleander gesäumten Strandpromenaden aufwartet, sondern in Porto Recanati und Civitanova Marche auch ausgewiesene Hundestrände bietet, an denen es sich gemeinsam mit dem Vierbeiner baden lässt. Ein erfrischendes Bad ist aber auch im Gebirge möglich – ganz egal ob an den einsamen Ufern des Lago di Fiastra oder in den tosenden Gebirgsbächen, die sich durch die Gole dell’Infernaccio und andere, durch Wanderwege erschlossene Schluchten stürzen: die Gelegenheit, sich nach einer Wanderung die Pfoten zu kühlen, findet sich beinahe überall.
A casa del diavolo – ganz schön wild
Scheinbar endlos zieht sich die kaum zwei Meter breite, unbefestigte Straße den Hang hinauf, links und rechts blühen Wildblumen und Ginster, und wenn nicht Eichen und Eschen den Blick versperren, lässt sich weit unten im Tal bereits das Flussbett des Fiastrone erahnen, das zwischen den Gipfeln eingezwängt ist. Bald darauf folgt eine Biegung, die Straße windet sich steil den Hang hinab, bis sie schließlich vor einem verwitterten Wegweiser endet. Von dort geht es, den Hunden und dem Rauschen des Fiastrone folgend, zu Fuß weiter: der Pfad führt durch dichte Wälder, immer tiefer in die Wildnis hinein – das der Wolf in den Sibillinischen Bergen unlängst wieder Fuß gefasst hat, glaubt man dabei gerne. Wir begegnen dennoch keinem.
Die Gole del Fiastrone ist, ganz im Gegensatz zur vorgenannten Höllenschlucht, die wir am Tag zuvor erwandert haben, nur in den Sommermonaten und nur bei gutem Wetter zu passieren. Dass diese Empfehlung aus gutem Grund ausgesprochen wird, bemerken wir, als wir schließlich am Flussufer ankommen, an dem der Wanderweg keine andere Wahl lässt, als durch das knietiefe Wasser zu waten. »Das bedeutet wohl nasse Füße«, sage ich – zur großen Freude der Hunde –, und winke Dirk zu, um ihm zu bedeuten, es mir und den Hunden gleich zu tun. Immer wieder müssen wir darauf vom einen zum anderen Flussufer wechseln, weil Felswände oder steile Abhänge uns den Weg versperren – mal ist das Wasser seicht, mal reicht es bis über das Knie, mal drohen uns Stromschnellen mit sich zu reißen –, für die Hunde das größte Vergnügen.
Im Sonnenlicht ergießen sich glitzernde Kaskaden von den immer steiler aufragenden Hängen, die Felswände leuchten, und weit oben, wohl einhundert Meter über uns, kreist ein Greifvogel über den Baumkronen. Immer enger wird das Tal und die schroffen Wände neigen sich einander zu, bald berühren sie sich, bilden eine Höhle, durch die der Fluss mit lautem Getöse rauscht – aber noch bevor wir deren Ende erreicht haben, beschließen wir umzukehren: fast brusttief ist das Wasser am Engpass, der vor uns liegt, die Strömung zu stark. Weil aber die Hunde – befinden zumindest zwei von dreien – noch immer nicht nass genug geworden sind und auch uns eine Pause mehr als willkommen scheint, rasten wir auf dem Rückweg schließlich an einem der Wasserfälle und gönnen den Vierbeinern ein letztes, ausgiebiges Bad. »Mehr Urlaub«, sage ich und lasse mich mit hochrotem Kopf, die gut fünf Kilogramm schwere Fotoausrüstung noch auf dem Rücken festgezurrt, auf einen vom Wasser umspülten Stein sinken, »mehr Urlaub geht nicht«.
Dipinto di blu – Bello macht blau
Mehr Urlaub – wenngleich in Gestalt von mehr Urlaubern – begegnet uns, als wir am folgenden Wochenende die Bergeinsamkeit gegen das Strandleben eintauschen: Während es bei der Wanderung, die wir vom Monte Conero zum Passo del Lupo unternehmen, nur wenige sind, die uns gleich einen Blick auf die Due Sorelle – nicht umsonst als einer der schönsten, weil nur schwer zugänglichen Strände der adriatischen Küste bekannt – werfen wollen, ist die Strandpromenade, die wir von Sirolo über Numana bis Porto Recanati entlang fahren, von Sonnensuchenden überfüllt. Über Kilometer reihen sich Kioske und Restaurants aneinander. Sonnenschirme warten darauf aufgespannt zu werden, Spielhallen und Jahrmarktsvergnügen auf Papas offene Geldbörse. Den sehnsüchtigen Blicken der Hunde zum Trotz entscheiden wir, dass das herrliche Türkisblau den Trubel nicht aufwiegen und wir auch anderswo baden können – also kehren wir dem Meer, ohne auch nur einen Fuß an den Strand gesetzt zu haben, den Rücken, nehmen die Landstraße über Loreto, und kommen am Lago di Cingoli endlich dazu, uns ganz entspannt abzukühlen. So entspannt, dass selbst die vier Maremmanos – Herdenschutzhunde, die man im ländlichen Italien zwar häufig sieht, denen man mitsamt der eigenen Hunde aber besser nicht begegnen sollte –, die uns vom gegenüberliegenden Seeufer beobachten, schon bald im Schatten weiter dösen.
Tutto ornato, lavorato, istoriato – Stadt ohne Hund
Schatten suchen wir in Ascoli Piceno vergebens, als wir in der zweiten Urlaubswoche die Altstadt der drittgrößten Stadt der Marken erkunden wollen – über den wenigen, am späten Vormittag noch freien Parkplätzen brennt die Sonne, und den Hunden möchten wir weder die Menschenmengen, die sich durch die engen Gassen schieben, noch den Glutofen, den ein überhitztes Auto darstellt, zumuten –, also trennen sich unsere Wege kurzerhand und ich gehe allein weiter.
Schon nach wenigen Schritten stürmen vom Markt auf dem Corso Mazzini die schönsten Gerüche auf mich ein: hier duftet es nach Zitrusfrüchten und frischen Kräutern, dort nach Porchetta, würzig gegrillt und in dünne Scheiben geschnitten, bald nach luftigen Stoffen oder Lavendel in Seifenform. An der Piazza del Popolo – im Herzen der Stadt gelegen und mit einem, im Laufe der Jahrhunderte so blank flanierten Pflaster ausgestattet, das sich die Sonne darin zu spiegeln scheint –, lasse ich mich auf den Stufen zum Palazzo dei Capitani nieder und schaue dem bunten Treiben zu, das von allen Seiten über den weiten Platz weht: dem Signore, der mit schweren Einkaufstaschen, auf denen das Emblem eines teuren Herrenschneiders prangt, vorüber schlendert, den Touristen, die auf die Chiesa San Francesco an der Stirnseite des Platzes zusteuern, den in schwarze Kostüme gekleideten Frauen, die in einer der Seitengassen verschwinden. Letzteren folge ich schließlich und komme an der Piazza Arringo an, die von der Kathedrale San Emidio beherrscht wird, die ich – bei der gegenwärtigen Hitze dankbar für die Kühle des dunklen Kirchenraums – durch das mächtige Renaissanceportal betrete. Man muss wohl weder Italiener, noch gläubig sein, um sich von dem farbenfrohen Schmuck ergriffen zu zeigen, denke ich bei mir, als ich in einer Seitenkapelle vor dem Altarbild von Carlo Crivelli stehe, und weiter, dass ein Italien mit Hunden zwar schön, ein Italien ohne dieselben bisweilen aber lohnenswerter sein kann.
Vietato l’accesso ai cani – Italiener mögen Hunde, aber nicht überall
Dass man als Hundebesitzer in Italien zwar überall hin, aber nicht überall hinein kommt, erkennt man vielleicht am ehesten am Meer – denn es bedarf schon etwas Glück und Ausdauer, zwischen den vielen privaten oder an einen, mit wummernden Bässen auf sich aufmerksam machenden Kiosk angeschlossenen Strandabschnitten einen zu finden, bei dem nicht die bewussten Verbotsschilder aufgestellt sind: Divieto di introdurre cani, heißt es dort – zu deutsch: Hunde verboten. Dass die schönen, feinsandigen Strände dabei den Hundelosen vorbehalten bleiben, liegt auf der Hand – den Hunden selbst ist es aber wohl herzlich egal, dass man sie mit Kies und Steinen vorliebnehmen lässt. Unseren zumindest.
Der letzte Urlaubstag ist gleichwohl unser zweiter Tag am Strand. Während sich unsere beiden Wasserratten – Zion und Ida – in den Wellen austoben, tut Nell es uns gleich und lässt sich – die Pfoten überkreuzt und die Nase im Wind – die Sonne auf den nassen Pelz brennen. »Zwei Wochen sind zu kurz«, denke ich und zünde mir eine Zigarette an, »viel zu kurz, um alles gesehen, erlebt oder gegessen zu haben«. Letzteres, will heißen: das gute Essen, ist dann auch vielleicht der einzige Grund, der die Heimreise erstrebenswert macht – zuhause isst man längst nicht so viel. Aber wer aus den Marken – neben den viel gerühmten Linsen aus Castelluccio, die man am besten vor Ort gekauft, Eindrücken aus Urbino und den Grotten von Frasassi, die man gesehen, oder Blasen, die man sich beim Wandern auf den grünen Hochflächen der Sibillinischen Bergen geholt haben sollte – ohne neugewonnene Pfunde zurückkehrt, der hat ganz bestimmt etwas versäumt.
Unser Dank gilt Carola und Renzo, den Vermietern der Casa Cuculo, in der wir zwei Wochen lang Gast sein durften: beide haben sich sehr darum bemüht, unseren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten und haben nicht nur für Fragen ein offenes Ohr, sondern können immer auch mit Tipps zu Restaurants, Veranstaltungen oder Ausflugszielen zur Seite stehen. Grazie mille per tutto!
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