21|03|2016 – »Zep­po« und Mama

Während die Hundemutter für den Welpen in den ersten Lebenswochen vor allen Dingen zweierlei bedeutet – will heißen: Nahrung und Wärme –, wird die Mutterrolle mit dem Absetzen um neue Aufgaben ergänzt.

Um die Mit­tags­zeit zeigt das Ther­mo­me­ter, das an der Bruch­stein­mau­er im Hof ange­bracht ist, die den Wel­pen­aus­lauf zur lin­ken Sei­te begrenzt, end­lich zwei­stel­li­ge Wer­te. Auch der Wind hat nach­ge­las­sen. Die bei­na­he unge­wohn­te Wär­me scheint nicht bloß Schnee­glöck­chen und Kro­kus zu ermu­ti­gen, die Köp­fe dem Licht ent­ge­gen zu stre­cken, son­dern auch die Lebens­geis­ter der Wel­pen zu befeu­ern, die uner­müd­lich durch den Aus­lauf tol­len: kaum hat sich einer der vier Wel­pen ein son­ni­ges Plätz­chen gesucht, um aus­zu­ru­hen, kommt ein ande­rer und for­dert ihn erneut zum Spie­len auf – so geht es wei­ter, geht es rund. Bis sich von außen schließ­lich die Schnau­ze der Mut­ter auf­for­dernd durch das Git­ter steckt.

Wäh­rend die Hun­de­mut­ter für den Wel­pen in den ers­ten Lebens­wo­chen vor allen Din­gen zwei­er­lei bedeu­tet – will hei­ßen: Nah­rung und Wär­me –, wird die Mut­ter­rol­le mit dem Abset­zen der Wel­pen um neue Auf­ga­ben ergänzt, die für die Ent­wick­lung der Wel­pen von wesent­li­cher Bedeu­tung sind. Die Mut­ter­hün­din for­dert die Wel­pen nun nicht nur auf, den siche­ren Raum der Behau­sung zu ver­las­sen und zeigt ihnen dabei – nicht nur im Umgang mit­ein­an­der – spie­le­risch Gren­zen auf, son­dern ver­mit­telt jedem auch ein stück­weit das Welt­bild, das sich bei ihr selbst durch­ge­setzt hat: eine unsi­che­re Hün­din wird so ihre Ängs­te auch auf die Wel­pen über­tra­gen, eine selbst­si­che­re Hün­din hin­ge­gen den Wel­pen zei­gen, dass es nichts gibt, vor dem sie sich fürch­ten müs­sen, und nur maß­re­gelnd ein­grei­fen, wo die Neu­gier zu groß wird.

Die Erzie­hungs­mit­tel, zu denen die Hün­din dabei greift, sind von Hün­din zu Hün­din ver­schie­den – man­cher genügt ein spie­le­ri­sches Ein­len­ken, die ande­re nutzt neben den stil­len Signa­len auch Anknur­ren, Weg­bei­ßen und Dro­hen, um die Wel­pen zu füh­ren oder um sich Respekt zu ver­schaf­fen. Auf den Lai­en mag das mit­un­ter befremd­lich – ja, bei­na­he bedroh­lich wir­ken, und für den Bruch­teil einer Sekun­de ist es das viel­leicht auch. Was aber nicht heißt, dass nach dem Schnau­zen­griff der Mut­ter nicht gleich wie­der Zunei­gung bekun­det wer­den kann – unter Hun­de­müt­tern heißt es nie »Geh auf dein Zim­mer und schäm dich«, heißt es immer »Ich hab’ dich ja trotz­dem lieb«.

Wie ein Reh springt Edda auf, voll­zieht in der Luft eine hal­be Dre­hung, und lan­det hin­ter dem Wel­pen, der sich noch immer suchend nach den ver­lo­cken­den Zit­zen umblickt. Jeder Annä­he­rungs­ver­such wird spie­le­risch abge­wehrt – das Gesäu­ge der Hün­din ist längst zurück­ge­bil­det, die Milch­leis­te abge­schwol­len –, und weil auch der hart­nä­ckigs­te Wel­pe irgend­wann zu begrei­fen scheint, dass die Tage von Milch und Honig nun­mehr gezählt sind, geht die Suche immer mehr in ein Spiel über, bei dem mal die Mut­ter, mal der Wel­pe die Gang­art bestimmt. Gemein­sam kugelt man sich durch das fri­sche Gras. Und als Zwei­bei­ner sitzt man dabei und fragt sich, ob die­se unge­wohn­te Wär­me wirk­lich von außen, ob sie nicht viel­mehr von ganz tief drin­nen kommt.

© Johannes Willwacher