»Ich glaube, es ist so weit«, schreibt Jule. Zögernd beginne ich ihr zurückzuschreiben – etwas über Hündinnen, Taschentücher und Blut –, lege dann aber das Smartphone zur Seite und nehme stattdessen den Terminkalender zur Hand, der auf dem Tisch aufgeschlagen vor mir liegt. Der 20. November ist ein Freitag – das weiß ich auch ohne in den Kalender zu sehen –, und hat sich bis zu diesem Moment einzig und allein dadurch ausgezeichnet, ein Tag wieder jeder andere zu dieser Jahreszeit zu sein: zu nass und zu grau, erwartungsgemäß. Dass der rote Farbklecks nicht ins Novembergrau hätte gehören sollen und ganz ohne Zweifel einige Wochen zu früh kommt, ist jetzt kaum noch von Belang. »Leben ist das, was passiert, während du fleißig dabei bist, andere Pläne zu schmieden«, heißt es in einem Lied von John Lennon, das immer dann gerne zitiert wird, wenn etwas Unerwartetes geschieht – und während ich die fraglichen Daten im Kalender mit rotem Filzstift einkreise, denke auch ich, dass es wenig Treffenderes dazu zu sagen gibt.
Mit dem gleichen roten Filzstift streiche ich schließlich auch den kaum zwei Wochen vorher im Kalender eingetragenen Deckzeitpunkt, als wir uns bereits am elften Tag der Läufigkeit auf den Weg nach Tschechien machen. Dass der Plan, den Jule und ich gemeinsam entworfen hatten, ganz anderes vorgesehen hatte, und mit dem vorgezogenen Deckakt am 1. Dezember auch alles weitere – wann, was und wer – vorgezogen werden muss, ist auch diesmal kaum noch von Belang. Als wir nach dreistündiger Fahrt die Grenze passieren, denke ich bloß an John Lennon – und lasse die zwei Jahre alten Pläne gleichmütig im Wind flattern: »Leben ist das, was passiert«.
»Sie liegt auf mir drauf, hab’ ihren Po fast im Gesicht«, schreibt Jule, gut eine Woche nach dem Deckakt – und weil ich weiß, dass sich Edda ansonsten nur äußerst ungern dazu hinreißen lassen würde, mehr Körperkontakt als unbedingt notwendig zu suchen, werte ich das als sehr gutes Zeichen, schlage den Terminkalender auf und schreibe mit dem bewussten roten Filzstift »Leben ist« auf die leere Seite.
In der ersten Woche der Trächtigkeit wartet man zumeist vergeblich auf ein Zeichen, dass der Deckakt geglückt ist – man beobachtet vielleicht eine stärkere Anhänglichkeit, ein größeres Ruhebedürfnis oder einen gesteigerten Appetit, die als Zeichen zwar zweifellos interpretierbar, aber längst nicht zuverlässig sind. Könnten wir einen Blick hinein werfen, so würden wir sehen, wie sich das Sperma des Rüden nach dem Deckakt selbständig durch den Uterus fortbewegt, sich nach einer Wanderung von fünf bis acht Stunden mit den reifen Eizellen vereinigt, und sich die Zygoten, die aus dieser Vereinigung entstehen, fortan teilen, teilen und weiter teilen. Das macht weder müde, noch hungrig. Trotzdem glauben wir gerne daran.
Comments are closed.