Eine Frage, die mir – neben der zu meinem Lieblingswelpen – auch immer wieder gestellt wird, ist die, was ich zum Wesen der einzelnen Welpen sagen kann. Es wäre leicht, darauf mit knappen Worten zu antworten, und grob zu umreißen, wer besonders mutig, wer eher ängstlich, wer dominant und wer eher unterwürfig ist. Unterhaltsamer ist es aber vielleicht, unsere »gruseligen« Sieben selbst zu Wort kommen zu lassen: Happy Halloween!
»Och, Finja«, sagt Zoe und verdreht die Augen, springt auf, um auf ihre jüngere Schwester zuzulaufen und sie sanft mit der Nase anzustupsen, »du weißt doch, was unser Mensch gesagt hat: feines Pipi gehört aufs Papier«.
Finja lugt unsicher unter ihren langen Wimpern hervor, während die Pfütze, in der sie noch immer sitzt, langsam kalt wird, dann schüttelt sie sich und sagt: »Is’ mir egal«. Das es ihr ganz und gar nicht egal ist und sie viel lieber im Trockenen säße, muss ihre ältere Schwester genauso wenig wissen, wie den Grund, warum sie sich lieber auf die Fliesen hockt, als die mit Zeitungspapier ausgelegte Toilette zu benutzen: während letztere von allen Geschwistern benutzt wird und schnell anfängt zu riechen, sind die Fliesen immer frisch. Ganz einfach. Und weil es ihr noch nicht gelingt, so lange einzuhalten, bis das Papier gewechselt ist, lässt sie lieber dort laufen, wo noch niemand anderes seine Spuren hinterlassen hat. Wie gesagt: ganz einfach.
Zoe legt tadelnd eine Pfote auf Finjas Schnauze, dann dreht sie sich um und läuft mit hoch erhobener Rute auf die blaue Wanne zu, die ihr als Schlafplatz dient. »Man hat es nicht leicht«, denkt sie bei sich, während sie den schwarzen Wollfilz, der die Wanne warm und weich auskleidet, mit den Vorderpfoten so bearbeitet, dass sich eine gemütliche Kuhle bildet, »man hat es nicht leicht sich durchzusetzen, wenn man zugleich die Älteste und die Kleinste ist: selbst wenn man zehn Minuten länger gelebt und die Welt vielleicht ein bisschen besser verstanden hat, als die anderen, kommt doch immer jemand, der größer und stärker ist, und meint, das Größe und Stärke wichtiger sind, als Wissen und Erfahrung«. Sie dreht sich zweimal im Kreis, dann rollt sie sich in ihrer Kuhle zusammen und schließt die Augen.
Sie hat kaum fünf Minuten geschlafen, als ihr eine Zunge neugierig über die Nase fährt. »Du tropfst«, sagt Ellie, die vor ihr liegt, den Kopf auf den Pfoten abgestützt, und lässt gleich wieder ihre Zunge über Zoes Gesicht fahren. »Schmeckt irgendwie schläfrig, finde ich«, flüstert sie. Während sie sich gerade anschickt, auch die Ohren ihrer großen Schwester auszulecken, wird sie plötzlich ruckartig an der Rute nach hinten gezogen. Sie muss sich nicht erst umdrehen, um zu erraten, wer da zieht, tut es aber trotzdem. Die weiße Rutenspitze fest umklammert steht Crazy da und stößt zwischen zusammengebissenen Zähnen ein: »Du bist!« hervor.
Von keiner anderen ihrer Schwestern würde Ellie ein solches Verhalten dulden. Weil es aber ihre Lieblingsschwester ist, die sie zum Spielen auffordert, lässt sie sich nur zu gerne darauf ein, hopst lachend aus der Wanne und jagt Crazy, die ihre Rute mittlerweile losgelassen und sich hinter der großen Holzbrücke in der Mitte des Zimmers versteckt hat, hinterher. Runde um Runde hasten die beiden um die Brücke, Crazy immer eine Länge voraus, bis Letztere schließlich in einer – dem geneigten Leser nicht unbekannten – Pfütze ausrutscht, sich überschlägt und auf dem Rücken liegen bleibt. »Hab dich!«, johlt Ellie und stellt sich siegreich über Crazy auf, die zappelnd versucht, die Schwester mit den Pfoten abzuwehren, bald aber auf- und sich geschlagen gibt. »Wenn ich nicht ausgerutscht wäre, hättest du mich niemals gekriegt«, hechelt die Unterlegene und rappelt sich auf, »niemals, hörst du?« Ellie, die weiß, dass ein Sieg immer gleich begossen werden muss, hat aber längst nicht mehr zugehört und ist stattdessen mit flinken Schritten zur Toilette getrabt.
»Was machst du da?«, fragt sie dort angekommen. Mit einem Fetzen Papier in der Schnauze dreht sich Fly zu ihr um. »Daff fieht man doff«, sagt sie und kaut auf der grellbunten Schlagzeile der Sonntagszeitung herum, »iff bilde miff fort«. Ellie kneift nachdenklich die Augen zusammen und sagt: »Zeig mal her!« Die vermeintliche Schlagzeile erweist sich als reich bebildertes Prospekt eines namhaften Schweizer Schokoladenfabrikanten, das dort, wo einmal zart schmelzende Gipfel abgedruckt waren, bereits kreisförmig ausgenagt ist. »Steht da auch was über Tanzbären drin?«, will eine Stimme hinter ihnen wissen.
»Wenn ich groß bin«, sagt Bran, der sich breitbeinig zwischen seine beiden Schwestern schiebt, »will ich nämlich einmal Tanzbär werden«. Über seinen Rücken hinweg werfen sich die Hündinnen einen amüsierten Blick zu, dann bricht es schallend aus beiden heraus. Bran, der nicht versteht, was seine Schwestern so vergnügt, stimmt schließlich selbst in das Gelächter der beiden ein – vielleicht, weil es immer lustiger ist, einen Witz gemacht zu haben, als selbst der Witz zu sein –, und endlich kugeln sich alle drei vor Lachen über den Boden. »Ich hab’s, ich hab’s«, kreischt Ellie vor Freude, »Bauchtanz wäre doch genau das Richtige für Bran!« Schnell gibt ein Wort das andere – und noch schneller, als ich schreiben kann, basteln alle drei ein Tütü aus Zeitungspapier.
Nova, die ganz alleine hinter dem Gitter sitzt, das das Welpenzimmer von der Welt dort draußen trennt, hat von alledem gar nichts mitbekommen. Nichts von der Pfütze, dem Rennen um die Brücke, nichts von den Gipfeln aus Schokolade oder der Bauchtanzgruppe. Ganz still hat sie hinter dem Gitter gesessen, die Ohren gespitzt und gelauscht, ob sie Schritte auf der Treppe hören kann – nur, um dann als Erste hinter dem Gitter zu sitzen, sich als Erste dem Menschen entgegenzustrecken, dem Menschen, der sie hoch nehmen und an sich drücken wird. »Viel süßer als süß«, denkt sie. Und lächelt.
© Johannes Willwacher