»Wovon träumt man«, denke ich und betrachte den Welpen, der schlafend auf meiner Brust liegt, »wenn man noch nichts gesehen hat, die neuronalen Netze noch nicht ausgeworfen sind, um Erlebtes und Erinnertes miteinander zu verknüpfen?« Der Welpe auf meiner Brust streckt sich, schmatzt, dann scheint es, als wollten alle Viere dazu ansetzen, mit weiten Schritten durch die Luft zu schneiden. »Wohin läuft man, ohne fest im Gehirn verankerte Bilder erinnern und – vielleicht – auf Traumwiesen einem Ball hinterherjagen zu können?«, frage ich mich. »Sollte das alles bloß motorischer Leerlauf sein oder gibt es Bilder, die man nicht gesehen haben muss, um sie sehen zu können?« Ich lecke meinen kleinen Finger an und lasse diesen vorsichtig über die zuckenden Pfoten streichen.
Zwei Wochen fast ist ein Welpe blind und taub, die Welt um ihn herum bloß ein flüchtiger Geruch, ein tastendes Gefühl. Als Züchter bemüht man sich bereits früh – während der vegetativen Phase – die Welpen mit Reizen zu konfrontieren, die ihnen die Fürsorge der Mutter nicht bieten kann. Dabei sind es nicht nur Berührungen, die dafür sorgen, dass die taktile Wahrnehmung der Welpen geschärft und synaptische Verbindungen aktiviert werden, die sonst ungenutzt bleiben würden, auch die frühe Bewältigung milder Stresssituationen wirkt sich positiv auf die grundlegendsten Verhaltenseigenschaften der Welpen aus.
Das Stress, insbesondere über das Temperaturempfinden, nicht nur den Entwicklungsverlauf, sondern auch die Sozialkompetenz eines Welpen maßgeblich beeinflussen kann, mag erstaunen – wie kontaktfreudig sich ein Hund im späteren Leben sowohl Menschen als auch anderen Hunden gegenüber verhält, wird aber oft schon in der Wurfkiste angelegt. Gerade als Neuzüchter neigt man vielleicht gerne dazu, seine Welpen zu sehr zu behüten, und neben der Wärmelampe, die Tag und Nacht über der Wurfkiste brennt, auch die Raumtemperatur entsprechend zu regulieren: Wo aber die Nestwärme vorrangig aus der Steckdose kommt, statt aus dem Wechselspiel mit Mutter und Wurfgeschwistern zu resultieren, werden auch die ersten Sozialkontakte weniger positiv erlebt und abgespeichert. Nähe muss man nicht gesehen haben, um sie suchen, um sie sehen zu können.
Gähnend dreht sich der Welpe zu mir um, die winzige Nase zuckt, und auf den zweiten Blick bemerke ich, dass sich dort, wo die Lider noch immer fest verklebt sind, feine Schlitze gebildet haben, durch die es schüchtern silbrig blitzt.
© Johannes Willwacher