Mittwochmorgen, halb zehn. Wie an allen Bürotagen, die ich mit Hund verbringe, habe ich das Auto am Stadion geparkt, und stehe nun mit Nell, die ungeduldig nach links und rechts schaut, um die einfahrende S-Bahn noch vor mir zu entdecken, am Gleis. Bis zum Hauptbahnhof sind es zwei Stationen, von dort aus nur ein kurzer Spaziergang durch das Bahnhofsviertel: Einen Block die Kaiserstraße entlang, über die Mosel- in die Münchener Straße. Nell kennt den Weg zur Agentur in- und auswendig. Nell liebt Bürotage. Ich bin mir da manchmal nicht so sicher.
Beim Einsteigen sehe ich sie schon: Sie sitzt alleine in einem Viererabteil, die gelockten Haare sind kurz geschnitten und im gleichen Ton gefärbt, wie der breite Rahmen der Brille, die, darauf möchte ich wetten, ihrem Gesicht einen jugendlichen Anstrich verpassen soll. Auf dem Schoß hält sie einen grauen Jutebeutel, den (das erkenne ich erst, als ich den Hund, der sich vor mir aufgeregt in die Leine hängt, in das gegenüberliegende Viererabteil bugsiere) ein dunkelblaues Paisleymuster ziert, das von der Baumwollhose, die sie zu schlammfarbenen Treckingsandalen trägt, dankbar aufgegriffen wird. Während sich der Hund, dessen Leine ich locker in der linken Hand halte, daran gibt, den Boden nach Brotkrumen und anderen Hinterlassenschaften früherer Fahrgäste abzusuchen, versuche ich, meinen Blick möglichst unauffällig in die entgegengesetzte Richtung zu dirigieren, um meiner Sitznachbarin, die ich kurzentschlossen Öko-Elke getauft habe (wobei ihr dazu eigentlich der handgeflochtene Weidenkorb aus dem letzten Manufactum-Katalog fehlt), zu signalisieren, das meine Kommunikationsbereitschaft nicht bloß gegen Null tendiert, sondern erst gar nicht gegeben ist. Öko-Elke scheint davon aber nichts mitbekommen zu haben, denn aus dem Augenwinkel beobachte ich, wie sie mit zunehmender Unruhe auf ihrem Sitz hin und her rutscht, und abwechselnd den Hund beim Brotkrumensuchen, dann wieder mich anlächelt. Kichernd! Einer Erstklässlerin gestehe ich so etwas gerne zu. Ihrer Lehrerin für Singen, Klatschen und Handarbeit (denn darum habe ich die Biografie von Öko-Elke mittlerweile erweitert) eher nicht. »Nun sag schon was«, denke ich, »dann haben wir das hinter uns«. Und genau das tut sie dann auch.
»Wie süß«, sagt sie, »was für eine Rasse ist das denn?«
»Border Collie«, antworte ich knapp.
Öko-Elke legt die Stirn in Falten und ich ahne bereits, was folgen wird. »Ich dachte immer, die sehen anders aus. Also, größer – und eher braun als schwarz. Nicht?«
Ich überlege kurz, was darauf zu antworten ist, und ziehe dann die mit Rassestandard überschriebene Rhetorikschublade auf, in der sich zuoberst ein Vortrag über die Farbvarietäten der Rasse befindet, der die Vielzahl möglicher Fellfarben aufzeigt, jedoch von klassischem Schwarz-Weiß spricht, und in meinen Ohren ziemlich allgemeinverständlich klingt. Vielleicht aber wirklich nur in meinen – die Falten auf der Stirn gegenüber sind nämlich immer noch da.
»Lassie sah aber anders aus«, sagt Öko-Elke und schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an.
Manchmal ist es ja ganz amüsant, zu merken, dass die Leute, die man insgeheim für blöd hält, von einem selbst ganz ähnlich denken. Aber manchmal auch nicht. Der Gedanke, dass diese zusammengekniffenen Augen so etwas wie Geringschätzung implizieren, zieht mir völlig den Stecker, und ich bin versucht, meinen Geldbeutel hervorzuziehen und ihr mit meiner Visitenkarte vor der Nase herum zu wedeln: Wer eine Visitenkarte besitzt, auf der das VDH-Logo abgedruckt ist, der wird schon wissen, wovon er spricht (sic!). Stattdessen entscheide ich, wie so oft, gar nichts zu sagen, und warte stumm auf die nächste Haltestelle.
Öko-Elke grinst nun wieder den Hund an. Der kann schließlich nichts dafür, dass sein Herrchen blöd ist.
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