Alte Ritua­le: Joey und sein Lieblingsspielzeug

Wie viele Rituale braucht ein Hund? Und wie viele Rituale hält ein Zweibeiner aus? Wir haben des mit unseren drei Border Collies einfach mal auf die Probe gestellt …

Der gel­be Ball ist weg. Rat­los ste­he ich vor dem Regal und las­se mei­nen Blick immer wie­der von links nach rechts wan­dern. Links reiht sich eine Viel­zahl von Kon­ser­ven auf, denen allen gemein ist, dass sie nicht zum Spie­len tau­gen, rechts sta­peln sich Tup­per­do­sen, für die das glei­che gilt. Der gel­be Ball bleibt ver­schwun­den. Die Hun­de, die hin­ter mir mit leuch­ten­den Augen war­ten, bli­cken ent­täuscht drein, als ich vom Regal zurück­tre­te und die Ach­seln zucke. Sind aber, so den­ke ich, viel­leicht auch von einem ande­ren Spiel­zeug zu über­zeu­gen, wes­halb ich alle drei lang­sam vor mir her und aus der Tür hin­aus schie­be und mir mit dem Kom­man­do »Wohn­zim­mer« schließ­lich genü­gend Platz ver­schaf­fe, um selbst aus der Tür zu treten.

Im Wohn­zim­mer ange­kom­men, war­ten die Hun­de unge­dul­dig vor dem Schrank. Kaum habe ich die­sen geöff­net, sind die drei Köp­fe auch schon in sei­nem Inne­ren ver­schwun­den, und jeder von ihnen zieht, nach mehr oder min­der lan­gen Minu­ten, ein Spiel­zeug her­aus, das er mir stolz prä­sen­tiert. Jeder? Nein. Nell nicht. Nell setzt sich vor mich und kneift, bei­na­he so, als wür­de sie ange­strengt über­le­gen, die Augen zusam­men. Man hat natür­lich nie vol­le Gewiss­heit, was ein Hund mit­tei­len möch­te und ob der hün­di­sche Wort­laut über­haupt zu inter­pre­tie­ren ist. Bei Nell bin ich mir in die­sem Moment aber abso­lut sicher. Nell sagt: »Willst du mich eigent­lich ver­ar­schen, Alter? Wo ist der gel­be Ball?«.

Neue Ritua­le: Twix zer­gelt mich Herrchen

Päd­ago­gen emp­feh­len, am bes­ten immer gleich ein zwei­tes, iden­ti­sches Kuschel­tier zu kau­fen, nur für den Fall, dass der plü­schi­ge bes­te Freund des Kin­des ver­lo­ren geht. Bei Nell habe ich das in der Ver­gan­gen­heit bereits ver­sucht, muss­te aber schnell bemer­ken, dass Hun­de sehr viel schwe­rer zu über­lis­ten sind, als Kin­der. Nell kennt den Abnut­zungs­grad ihrer Lieb­lings­spiel­zeu­ge sehr genau. Sie weiß, wo die Ver­tie­fun­gen sind, in die sich die Zäh­ne per­fekt ein­pas­sen, wo fei­ne Ris­se das Gum­mi durch­zie­hen und man nur vor­sich­tig zubei­ßen darf, und ob der Quietsch­ton dem Alt­be­kann­ten ent­spricht. »Hous­ton, wir haben ein Pro­blem«, den­ke ich.

Zehn Minu­ten spä­ter habe ich die Vor­rats­kam­mer drei­mal durch­sucht, den Kel­ler eben­so, und in letz­ter Hoff­nung zum Tele­fon gegrif­fen und Dirk ange­ru­fen. Wäh­rend ich mir die Ansa­ge der Mail­box anhö­re, über­le­ge ich, wel­chen Sinn sol­che abend­li­chen Ritua­le über­haupt haben. Fes­ti­gen sie die Rudel­bin­dung? Oder sind sie allein dazu da, den Zwei­bei­ner dar­an zu hin­dern, sei­ne zwei Bei­ne hoch und sich auf die Couch zu legen? Durch den Hörer klingt der Piep­ton und ich möch­te gera­de anfan­gen zu spre­chen, als ein auf­ge­reg­tes Schar­ren aus der Vor­rats­kam­mer dringt. Ich schaue um die Ecke und sehe Nell, die mit bei­den Vor­der­läu­fen unter dem Regal gräbt. Ich lege das Tele­fon auf, mich selbst zu Nell auf den Boden und hal­te kaum einen Moment spä­ter den gel­ben Ball in den Hän­den. Nell strahlt. »Blö­des Ding«, sage ich – und bin mir für den Bruch­teil einer Sekun­de selbst nicht sicher, wen ich damit meine.

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