Was geht wohl in den Welpen vor, wenn einer nach dem anderen auszieht? Begreifen sie, was um sie herum geschieht? Eine Geschichte mit vier Border Collie Welpen …

Auf dem Hüh­ner­hof war der Hahn erkrankt. Nie­mand konnte
mehr damit rech­nen, er wer­de auch am nächs­ten Mor­gen noch
krä­hen.
 Die Hen­nen mach­ten sich Sor­gen. Sie waren felsenfest
über­zeugt,
 die Son­ne gehe nur auf, weil der Hahn sie rufe.
Der nächs­te
 Mor­gen aber belehr­te sie eines Bes­se­ren: Die Sonne
ging
 auf wie jeden Tag; nichts hat­te ihren Gang beeinflußt.
– Aus Persien

»Was wohl Joey dazu gesagt hät­te?«, frag­te sich Pep­per und stups­te mit der Nase gegen das schwar­ze Ding, das sich ihr in den Weg gestellt hat­te. So nah hat­te sie sich bis­her nie her­an gewagt, und weil sie auch jetzt noch damit rech­ne­te, dass es jeder­zeit auf­wa­chen konn­te, schärf­te sie ihren Pfo­ten ein, sich mög­lichst laut­los zu bewe­gen. Wäh­rend sie das Ding also wei­ter umrun­de­te und ihre Nase dabei mal die­sen, mal jenen Geruch auf­schnapp­te (das Ding roch, wenn man es genau nahm, ein­fach nach allem – und gera­de das mach­te es so gefähr­lich), über­leg­te Pep­per, ob das Ding etwas mit Joeys’ Ver­schwin­den zu tun gehabt haben konn­te. Das Ding schien, wenn es wach war, schließ­lich alles auf­zu­fres­sen – war­um also nicht auch einen unvor­sich­ti­gen Welpen?
+++++Joey und Twix, ihre bei­den älte­ren Brü­der, waren vor eini­gen Tagen ver­schwun­den, und weil bei­de kaum vor­sich­tig, son­dern immer beson­ders neu­gie­rig gewe­sen waren, lag es für Pep­per auf der Hand (oder viel mehr: auf der Pfo­te), dass das schwar­ze Ding sie ver­schluckt hat­te. Aber so sehr sich Pep­per auch anstreng­te, unter den vie­len Gerü­chen, die das Ding ver­ström­te, war kei­ner, der an ihre Brü­der erinnerte.
+++++Als Pep­per das Ding ein­mal ganz umrun­det hat­te, fiel ihr eine schwar­ze Schnur auf, die vor­hin noch nicht da gewe­sen war. Pep­per wuss­te gleich, was die Schnur bedeu­te­te, denn auch sie selbst hat­te man schon ein­mal an eine sol­che Schnur gelegt, und so sehr sie sich auch dage­gen gewehrt hat­te, sie war nicht vom Fleck gekom­men: Das schla­fen­de, schwar­ze Ding lag an einer Lei­ne. Das gefiel Pep­per. Das gefiel ihr sehr.

Iska schlug die Augen auf. An ihren jüngs­ten Bru­der gelehnt, hat­te sie sich unter dem Küchen­tisch zusam­men­ge­rollt und sich erlaubt, ein kur­zes Nicker­chen zu hal­ten. Sie konn­te nicht beson­ders lan­ge geschla­fen haben, denn bevor sie ein­ge­nickt war, hat­te sie Pep­per aus dem Augen­win­kel dabei beob­ach­tet, wie sie auf spit­zen Pfo­ten um den Staub­sauger her­um geschli­chen war. Da Pep­per ihre Run­de kaum been­det zu haben schien, schloss Iska, dass sie nicht ein­mal zwei Minu­ten geschla­fen haben konn­te. Wäh­rend sie gähn­te und sich streck­te, dach­te sie, dass sie seit dem Ver­schwin­den ihrer bei­den gro­ßen Brü­der sel­ten fest und noch sel­te­ner lan­ge geschla­fen hat­te. Man konn­te schließ­lich nie wis­sen, wer noch da und wer ver­schwun­den sein wür­de, wenn man wie­der auf­wach­te. Iska gähn­te noch ein­mal, sah Pep­per hechelnd über das Kabel hüp­fen, das vom Staub­sauger zur Steck­do­se führ­te, drück­te sich dann wie­der dicht an Beau und seufz­te zufrie­den. »So lan­ge ich noch da bin und du noch da bist«, flüs­ter­te sie ihrem schla­fen­den Bru­der zu, »so lan­ge ist alles gut.«
+++++Pep­per hat­te das Ende der Lei­ne gera­de erreicht, als Bud­dy an sie her­an­trat. Zwi­schen sei­nen Zäh­nen hielt er einen Kaf­fee­löf­fel, den er mal nach links, dann nach rechts schau­keln ließ, und in dem sich das trü­be Licht, das durch das Küchen­fens­ter fiel, spiegelte.
+++++»Wasch maschu ga?«, woll­te Bud­dy wis­sen. Von dort, wo er den Löf­fel gefun­den hat­te, hat­te er sei­ner Schwes­ter dabei zuge­se­hen, wie sie dem schwarz­glän­zen­den Kabel gefolgt war, und da er wuss­te, dass Pep­per nichts lie­ber tat, als sich selbst zu über­schät­zen, hat­te er nicht lan­ge gezö­gert, den Löf­fel gepackt und sich zu ihr gesellt. Mit dem Kaf­fee­löf­fel in sei­ner Schnau­ze beschrieb er nun einen Kreis um das Ende der Kabels, das einer der Zwei­bei­ner in ein Loch in der Wand gesteckt hat­te: »Ewek­rich! Nich’ rein­weis­sen, ku’ gefäh­rich weh!«

Im Gegensatz zu seiner Schwester ging er davon aus, dass man
seine beiden Brüder in ein solches Auto gesetzt und weggebracht hatte.
Aber das sagte er seiner Schwester nicht. Manchmal wurde etwas
Schlimmes nur noch schlimmer, wenn man es aussprach.

»Ewek­rich?«, frag­te Pep­per. Sie wuss­te nicht, was ihr Bru­der damit mein­te. In den letz­ten Wochen hat­te sie vie­le Wör­ter gelernt (so zum Bei­spiel, dass man sich set­zen muss­te, wenn es »Sitz« hieß), aber was Ewek­rich sein soll­te, hat­te ihr nie­mand bei­gebracht. »Was heißt das, bit­te?«, frag­te sie also ihren Bruder.
+++++Bud­dy ließ den Löf­fel fal­len und sag­te: »Elek­trisch! Das heißt, dass etwas nur geht, wenn man es in die Wand steckt oder auf einen Knopf drückt, oder so«. Bei dem oder so dach­te er selbst schau­dernd an das Auto, in dem er in der letz­ten Woche viel zu oft hat­te sit­zen müs­sen, und das nie­mand in die Wand gesteckt hat­te, und im Gegen­satz zu sei­ner Schwes­ter ging er davon aus, dass man sei­ne bei­den Brü­der in ein sol­ches Auto gesetzt und weg­ge­bracht hat­te. Aber das sag­te er sei­ner Schwes­ter nicht. Manch­mal wur­de etwas Schlim­mes nur noch schlim­mer, wenn man es aussprach.
+++++Beau wisch­te gäh­nend Iskas’ Pfo­te von sei­ner Schnau­ze und blin­zel­te. Vor sei­nen Augen tanz­ten Staub­flo­cken im Licht, dahin­ter sah er in eini­ger Ent­fer­nung den Staub­sauger ste­hen, des­sen lan­ger Rüs­sel an das Fens­ter­brett gelehnt war. Er schien zu schla­fen. Beau wuss­te nicht viel über Staub­sauger, nur, dass sie Krach mach­ten und sich selbst dann nicht beein­dru­cken lie­ßen, wenn man ihnen mit aller Kraft in den Rüs­sel biss. Er hör­te Schrit­te. Die Die­len­bret­ter unter ihm erzitterten.
+++++»Und wo sol­len sie sonst sein, wenn das Ding sie nicht gefres­sen hat?«, frag­te Pep­per ihren Bru­der und kniff bei­de Augen fest zusammen.
+++++»Ich«, begann Bud­dy zu spre­chen, merk­te aber gleich, wie er einen Kloß im Hals bekam und ihm die Wor­te, eins nach dem ande­ren, ent­glit­ten. Bei den ers­ten bei­den Auto­fahr­ten war ihm so schlecht gewor­den, dass er sich weder vor­stel­len konn­te, jemals ger­ne in einem sol­chen Gefährt zu sit­zen, noch, dass es sei­nen bei­den Brü­dern beson­ders gefal­len hat­te. Viel­leicht saßen sie sogar noch immer dar­in? »Weg«, sag­te er schließlich.
+++++»Weg«, wie­der­hol­te Pepper.

Wäh­rend ich den Beu­tel des Staub­saugers aus­wechs­le, umrin­gen mich vier Wel­pen. Ich kann ihnen nicht sagen, dass sich Joey und Twix, die bei­den Brü­der, die zuerst aus­ge­zo­gen sind, schon gut in ihr neu­es Zuhau­se ein­ge­fun­den haben. Ich kann ihnen nicht sagen, dass auch sie gehen wer­den, der eine bald, der ande­re spä­ter. Ich weiß selbst nur, dass man sich set­zen muss, wenn es »Sitz« heißt. Und das man »Auf Wie­der­se­hen« sagt, wenn die Zeit gekom­men ist.

© Johannes Willwacher