Was geht wohl in den Welpen vor, wenn einer nach dem anderen auszieht? Begreifen sie, was um sie herum geschieht? Eine Geschichte mit vier Border Collie Welpen …
Auf dem Hühnerhof war der Hahn erkrankt. Niemand konnte
mehr damit rechnen, er werde auch am nächsten Morgen noch
krähen. Die Hennen machten sich Sorgen. Sie waren felsenfest
überzeugt, die Sonne gehe nur auf, weil der Hahn sie rufe.
Der nächste Morgen aber belehrte sie eines Besseren: Die Sonne
ging auf wie jeden Tag; nichts hatte ihren Gang beeinflußt.
– Aus Persien
»Was wohl Joey dazu gesagt hätte?«, fragte sich Pepper und stupste mit der Nase gegen das schwarze Ding, das sich ihr in den Weg gestellt hatte. So nah hatte sie sich bisher nie heran gewagt, und weil sie auch jetzt noch damit rechnete, dass es jederzeit aufwachen konnte, schärfte sie ihren Pfoten ein, sich möglichst lautlos zu bewegen. Während sie das Ding also weiter umrundete und ihre Nase dabei mal diesen, mal jenen Geruch aufschnappte (das Ding roch, wenn man es genau nahm, einfach nach allem – und gerade das machte es so gefährlich), überlegte Pepper, ob das Ding etwas mit Joeys’ Verschwinden zu tun gehabt haben konnte. Das Ding schien, wenn es wach war, schließlich alles aufzufressen – warum also nicht auch einen unvorsichtigen Welpen?
Joey und Twix, ihre beiden älteren Brüder, waren vor einigen Tagen verschwunden, und weil beide kaum vorsichtig, sondern immer besonders neugierig gewesen waren, lag es für Pepper auf der Hand (oder viel mehr: auf der Pfote), dass das schwarze Ding sie verschluckt hatte. Aber so sehr sich Pepper auch anstrengte, unter den vielen Gerüchen, die das Ding verströmte, war keiner, der an ihre Brüder erinnerte.
Als Pepper das Ding einmal ganz umrundet hatte, fiel ihr eine schwarze Schnur auf, die vorhin noch nicht da gewesen war. Pepper wusste gleich, was die Schnur bedeutete, denn auch sie selbst hatte man schon einmal an eine solche Schnur gelegt, und so sehr sie sich auch dagegen gewehrt hatte, sie war nicht vom Fleck gekommen: Das schlafende, schwarze Ding lag an einer Leine. Das gefiel Pepper. Das gefiel ihr sehr.
Iska schlug die Augen auf. An ihren jüngsten Bruder gelehnt, hatte sie sich unter dem Küchentisch zusammengerollt und sich erlaubt, ein kurzes Nickerchen zu halten. Sie konnte nicht besonders lange geschlafen haben, denn bevor sie eingenickt war, hatte sie Pepper aus dem Augenwinkel dabei beobachtet, wie sie auf spitzen Pfoten um den Staubsauger herum geschlichen war. Da Pepper ihre Runde kaum beendet zu haben schien, schloss Iska, dass sie nicht einmal zwei Minuten geschlafen haben konnte. Während sie gähnte und sich streckte, dachte sie, dass sie seit dem Verschwinden ihrer beiden großen Brüder selten fest und noch seltener lange geschlafen hatte. Man konnte schließlich nie wissen, wer noch da und wer verschwunden sein würde, wenn man wieder aufwachte. Iska gähnte noch einmal, sah Pepper hechelnd über das Kabel hüpfen, das vom Staubsauger zur Steckdose führte, drückte sich dann wieder dicht an Beau und seufzte zufrieden. »So lange ich noch da bin und du noch da bist«, flüsterte sie ihrem schlafenden Bruder zu, »so lange ist alles gut.«
Pepper hatte das Ende der Leine gerade erreicht, als Buddy an sie herantrat. Zwischen seinen Zähnen hielt er einen Kaffeelöffel, den er mal nach links, dann nach rechts schaukeln ließ, und in dem sich das trübe Licht, das durch das Küchenfenster fiel, spiegelte.
»Wasch maschu ga?«, wollte Buddy wissen. Von dort, wo er den Löffel gefunden hatte, hatte er seiner Schwester dabei zugesehen, wie sie dem schwarzglänzenden Kabel gefolgt war, und da er wusste, dass Pepper nichts lieber tat, als sich selbst zu überschätzen, hatte er nicht lange gezögert, den Löffel gepackt und sich zu ihr gesellt. Mit dem Kaffeelöffel in seiner Schnauze beschrieb er nun einen Kreis um das Ende der Kabels, das einer der Zweibeiner in ein Loch in der Wand gesteckt hatte: »Ewekrich! Nich’ reinweissen, ku’ gefährich weh!«
Im Gegensatz zu seiner Schwester ging er davon aus, dass man
seine beiden Brüder in ein solches Auto gesetzt und weggebracht hatte.
Aber das sagte er seiner Schwester nicht. Manchmal wurde etwas
Schlimmes nur noch schlimmer, wenn man es aussprach.
»Ewekrich?«, fragte Pepper. Sie wusste nicht, was ihr Bruder damit meinte. In den letzten Wochen hatte sie viele Wörter gelernt (so zum Beispiel, dass man sich setzen musste, wenn es »Sitz« hieß), aber was Ewekrich sein sollte, hatte ihr niemand beigebracht. »Was heißt das, bitte?«, fragte sie also ihren Bruder.
Buddy ließ den Löffel fallen und sagte: »Elektrisch! Das heißt, dass etwas nur geht, wenn man es in die Wand steckt oder auf einen Knopf drückt, oder so«. Bei dem oder so dachte er selbst schaudernd an das Auto, in dem er in der letzten Woche viel zu oft hatte sitzen müssen, und das niemand in die Wand gesteckt hatte, und im Gegensatz zu seiner Schwester ging er davon aus, dass man seine beiden Brüder in ein solches Auto gesetzt und weggebracht hatte. Aber das sagte er seiner Schwester nicht. Manchmal wurde etwas Schlimmes nur noch schlimmer, wenn man es aussprach.
Beau wischte gähnend Iskas’ Pfote von seiner Schnauze und blinzelte. Vor seinen Augen tanzten Staubflocken im Licht, dahinter sah er in einiger Entfernung den Staubsauger stehen, dessen langer Rüssel an das Fensterbrett gelehnt war. Er schien zu schlafen. Beau wusste nicht viel über Staubsauger, nur, dass sie Krach machten und sich selbst dann nicht beeindrucken ließen, wenn man ihnen mit aller Kraft in den Rüssel biss. Er hörte Schritte. Die Dielenbretter unter ihm erzitterten.
»Und wo sollen sie sonst sein, wenn das Ding sie nicht gefressen hat?«, fragte Pepper ihren Bruder und kniff beide Augen fest zusammen.
»Ich«, begann Buddy zu sprechen, merkte aber gleich, wie er einen Kloß im Hals bekam und ihm die Worte, eins nach dem anderen, entglitten. Bei den ersten beiden Autofahrten war ihm so schlecht geworden, dass er sich weder vorstellen konnte, jemals gerne in einem solchen Gefährt zu sitzen, noch, dass es seinen beiden Brüdern besonders gefallen hatte. Vielleicht saßen sie sogar noch immer darin? »Weg«, sagte er schließlich.
»Weg«, wiederholte Pepper.
Während ich den Beutel des Staubsaugers auswechsle, umringen mich vier Welpen. Ich kann ihnen nicht sagen, dass sich Joey und Twix, die beiden Brüder, die zuerst ausgezogen sind, schon gut in ihr neues Zuhause eingefunden haben. Ich kann ihnen nicht sagen, dass auch sie gehen werden, der eine bald, der andere später. Ich weiß selbst nur, dass man sich setzen muss, wenn es »Sitz« heißt. Und das man »Auf Wiedersehen« sagt, wenn die Zeit gekommen ist.
© Johannes Willwacher