Die letzte Woche mit unseren sechs Border Collie Welpen: Am kommenden Sonntag wird uns bereits der Erste verlassen haben.
Es gibt drei goldene Regeln,
um eine Novelle zu schreiben –
leider sind sie unbekannt.
– William Somerset Maugham
Ich habe eine schlechte Angewohnheit: Wenn ich die ersten Seiten eines Buchs aufschlage, blättere ich, kaum dass ich das erste Kapitel beendet habe, zur letzten Seite und lese, noch bevor ich mich auf das, was dazwischen passieren wird, einlasse, den Schluss. Weshalb ich das tue, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass ich es schon sehr lange tue und es mir ein gutes Gefühl gibt, zu wissen, wie die Geschichte fortgeschrieben werden wird. Man hat mir schon oft gesagt, dass man so nicht lesen kann und man sich so nur das verdirbt, was zwischen dem ersten und dem letzten Satz geschieht. Das mag stimmen, ist mir aber ziemlich gleich. Vielleicht, weil ich auch abseits von Buchenden eher zu den Menschen gehöre, die sich nicht gerne überraschen lassen, und deshalb Stunden und Tage damit zubringen, einen Gedanken von links nach rechts zu rollen. Ich denke, genau aus diesem Grund mag ich Bücher. Während das Leben nie nur eine Antwort bietet und es schwer ist auszumachen, wer gerade der Gute und wer der Böse ist (das wäre schön, aber das Leben ist in den seltensten Fällen so normativ), hat das der Autor eines Buches bereits für mich zu Ende gedacht. Ich muss ihm als Leser nur ein kleines Stück vorauseilen, um zu erfahren, ob er meine Erwartungen erfüllen wird oder ob ich das Buch enttäuscht beiseite lege.
Acht Wochen und die letzten Seiten dieses Tagebuchs. Während ich hier sitze und schreibe, hat es begonnen zu regnen und der Welpenauslauf im oberen Garten, den ich durch das Fenster vor dem Schreibtisch gerade überblicken kann, liegt verwaist da. Durch die offenen Türen höre ich leises Bellen und sehe, auch ohne sie selbst zu sehen, sechs Welpen vor mir, die ausgelassen spielen. Das erste Kapitel ist beinahe beendet.
Ich stehe vor dem Bücherregal, lasse den Zeigefinger wie zufällig über die Buchrücken streifen. Alles was passiert, ist noch nicht geschrieben, denke ich, ziehe ein Buch aus dem Regal und schlage die letzte Seite auf. »Das liegt daran, dass es noch nicht zu Ende ist*«, lese ich. So wird es sein.
*aus: David Mitchell, Der dreizehnte Monat, Rowohlt, 2009
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