I hurt mys­elf today, to see if I still feel
– »Hurt«, Nine Inch Nails

Der böse Mann sitzt mit über­ein­an­der geschla­ge­nen Bei­nen auf einem weiß lackier­ten Stuhl und schaut den Regen­trop­fen nach, die von dem Vor­dach über ihm per­len. Über dem Hügel am Ran­de sei­nes Blick­felds, dort, wo sich der Gar­ten und die Hori­zont­li­nie in einem dunk­len Grau ver­mi­schen, däm­mert es. Auf dem Hügel gra­sen Kühe, die sich als unste­te hel­le Punk­te von dem dunk­len Grau abhe­ben. Irgend­wo krächzt eine Krä­he. Halb sechs, denkt der böse Mann und gähnt. In sei­nen Hän­den dampft eine halb vol­le Tas­se Kaf­fee, der Geruch flirrt in sei­ner Nase, ver­liert sich aber bald und gibt einem ande­ren Raum, der sich ste­chend breit macht. Der böse Mann nimmt einen Schluck aus der Tas­se, steht auf, stellt den Stuhl bei­sei­te und schließt die Tür. Das Dun­kel des Kel­ler­raums umschließt ihn bei­na­he ganz, nur das Rau­schen eines vor­bei­fah­ren­den Autos auf der Stra­ße über ihm erin­nert ihn dar­an, noch da zu sein. Noch ich zu sein, denkt er und verschwindet.

Ein Mitt­woch­mor­gen in der drit­ten Juni­wo­che. Es ist halb elf und unse­re drei Hun­de dösen nach dem Früh­stück in der Küche. Ida ist hoch schwan­ger, in nicht ganz zwei Wochen sol­len ihre Wel­pen gebo­ren wer­den. Als das Tele­fon klin­gelt, bin ich gera­de dabei einen Text zu kor­ri­gie­ren, der in der Woche dar­auf gedruckt wer­den soll. Das Tele­fon liegt neben der Tas­ta­tur, fünf Minu­ten zuvor habe ich noch mit dem Büro in Frank­furt tele­fo­niert. Auf dem Dis­play wird kei­ne Num­mer ange­zeigt, dabei den­ke ich mir aber nichts, das kommt vor. Als ich abneh­me und mich mit Namen mel­de, herrscht einen Augen­blick lang Stil­le. Dann fängt jemand, der sei­nen Namen selbst nicht nennt, an zu spre­chen. Dreck­schwein, sagt er. Beschis­se­nes Dreck­schwein. Nach­dem er mich eine gefühl­te Ewig­keit, viel­leicht bloß drei­ßig Sekun­den, beschimpft hat und ich nur atem­los zuge­hört habe, legt er mit­ten im Satz auf. Ich blei­be benom­men zurück. Blut pul­siert in mei­nen Ohren. Kurz dar­auf klin­gelt es ein zwei­tes Mal.

Sie soll­ten bes­ser auf­pas­sen, dass niemand
kommt, der ihre Hun­de absticht. Dann wüss­ten sie mal,
wie es sich anfühlt, Angst zu haben. Gewissenlose
Men­schen wie sie, Men­schen, die ande­re Leben kaputt
machen, die hät­ten sowas verdient.

Es gibt Tage, an denen möch­te ich ger­ne der böse Mann sein. An denen möch­te ich ver­ges­sen, dass ich eigent­lich an das Gute glau­be, und denen, die schlecht über mich reden, all das heim­zah­len, was sie mir zuge­fügt haben. Der böse Mann hät­te sich viel­leicht einen Anwalt genom­men, hät­te Anzei­ge erstat­tet. Den bösen Mann hät­te es viel­leicht gefreut, die Men­schen vor Gericht zu sehen, die ihm mit unbe­dach­ten Wor­ten alles hät­ten neh­men kön­nen. Sie soll­ten bes­ser auf­pas­sen, dass nie­mand kommt, der ihre Hun­de absticht, hät­te er gesagt und zuge­se­hen, wie aus Opfern Täter wer­den. Es gibt Tage, an denen möch­te ich ger­ne der böse Mann sein. Heu­te ist wie­der so einer. Man­ches lässt einen nicht so leicht los.

Es ist kurz nach sie­ben. Die Stu­fen knar­ren, als der böse Mann lang­sam die Trep­pe hin­un­ter geht. Statt der Kaf­fee­tas­se hält er einen Fut­ter­napf in den Hän­den, das Fut­ter dar­in ist weich und riecht nach war­mer Zie­gen­milch. Im Halb­dun­kel tas­tet der böse Mann nach dem Licht­schal­ter, stellt den Fut­ter­napf auf einem Sche­mel ab und steigt über das Git­ter. Er bückt sich, nimmt einen Wel­pen auf den Arm – und lächelt.

Ich habe lan­ge dar­über nach­ge­dacht, ob ich mich öffent­lich zu die­sen Vor­fäl­len äußern soll. Ob es nicht bes­ser ist, zu schwei­gen, weil das was uns und was ande­ren pas­siert ist, schon schlimm genug ist. Ich glau­be aber, dass es Not tut, mir man­ches von der See­le zu schrei­ben. Dass es die­ser See­le nicht gut geht, haben in den letz­ten Wochen vie­le zwi­schen den Zei­len gele­sen und ich möch­te mich an die­ser Stel­le ganz herz­lich bei denen bedan­ken, die nach­ge­fragt und zu mir gestan­den haben, statt sich, was leich­ter gewe­sen wäre, in Vor­ur­tei­len zu üben.

Nicht zuletzt bei den fünf Fami­li­en, die unse­ren Wel­pen ein wun­der­ba­res Zuhau­se geben wer­den. Fünf Fami­li­en, in die ich mein volls­tes Ver­trau­en set­ze. Und die auch mir noch immer ver­trau­en. Weil sie die gan­ze Geschich­te kennen.

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