»Your first 10.000 photographs are your worst.«
– Henri Cartier Bresson
Bis zu dem Tag, als Nell vor vier Jahren bei uns einzog, hatte meine Kamera ein eher ruhiges Leben. Mitunter setzte sie sogar Staub an, während sie über Monate im Regal lag und darauf wartete genutzt zu werden. All zu viele Gelegenheiten fanden sich nicht und rückblickend meine ich, dass sich selbst die wenigen, die sich fanden, kaum gelohnt haben. Es gibt wenige Fotos aus dieser hundelosen Zeit. Die meisten davon sind schlecht oder kommen nicht über das Niveau von Schnappschüssen hinaus, die unscharf Situationen skizzieren, an die ich mich nicht einmal mehr erinnern kann: Regentropfen auf dem Dachfenster, Staub auf dem Lampenglas, fliegende Verkehrszeichen auf der Autobahn. Designstudenten mögen sowas. War das in Mainz? Oder in Wiesbaden? Was keinen Wert hat, muss nicht erinnert werden.
In der letzten Woche stellte ich fest, dass der Speicher meiner Festplatte beinahe belegt ist. An den Tagen, an denen ich nicht im Büro bin, nutze ich das Mac Book zwar auch um zu arbeiten, habe mir aber angewöhnt, Erledigtes gleich zu archivieren und von der Festplatte zu löschen. Das nicht, weil es Zeit spart – das tut es nicht – sondern weil es die Nerven schont. Wer schon einmal vergeblich auf den geliebten Gong gewartet hat oder, als Besitzer eines PCs, vor dem Blauen Bildschirm des Todes geendet ist, wird verstehen was ich meine. Dass diese Daten also nicht der Grund sein können für das aktuelle Dilemma, sollte spätestens jetzt jedem klar sein. Wem das nicht reicht, den möchte ich gerne an Tschechows Gesetz erinnern, das besagt, dass eine Waffe, die im ersten Akt eines Dramas eingeführt wird, im Verlauf der Handlung abgefeuert werden muss – es wäre ja sonst sinnlos, diese überhaupt zu erwähnen. Die gab es nicht? Die gab es sehr wohl. Nur hatte diese Waffe Zähne.
Vierundzwanzigtausend Fotos in vier Jahren. Nicht auf allen davon ist ein Hund zu sehen, aber auf vielen, vielleicht auf mehr als der Hälfte – und dabei sind noch nicht einmal die mitgezählt, auf denen der Hund bloß von hinten zu sehen ist. Sitzende Hunde, liegende Hunde, rennende, springende, schlafende Hunde, Hunde am Strand, Hunde auf Bänken, Hunde mit Bällen und Hunde, die bellen, Hunde auf Hunden und Hunde, die stundenlang ausharren müssen, weil Wolken vor der Sonne stehen. Da kommt es auf eines mehr doch nicht an. Was man liebt, das löscht man nicht.
»Liv«, Broadmeadows A Sorta Fairytale, macht mit ihrer Familie gerade Urlaub in Dänemark. Am Ringkøbing Fjord waren wir selbst vor zwei Jahren – und wenn ich mir das Foto von ihr anschaue, höre ich beinahe den Wind, der vom Meer über die schmale Landzunge pfeift.
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