Der Westerwald – hunderte Kilometer ausgewiesener Wanderwege. Wer sich hier verläuft, muss es schon darauf anlegen – oder behaupten, dass er bereits alles andere kennt …

Öt niw­welt, öt fis­selt, öt treb­belt, öt trätscht, öt schütt, öt gisst.
Der Wes­ter­wäl­der kennt vie­le Begrif­fe für schlech­tes Wetter

Beim Über­que­ren der Stra­ße, deren regen­nas­ses Rau­schen ich schon aus gut einem Kilo­me­ter Ent­fer­nung hören konn­te, erschließt sich mir ein neu­es Bild – zwei Wege, die wild über­wu­chert in den Tan­nen­wald abtau­chen. Hin­ter mir liegt eine gute Stun­de Fuß­weg, quer über Wie­sen und Fel­der, und es reg­net unauf­hör­lich. Mei­ne knie­ho­hen Gum­mi­stie­fel drü­cken, die Jacke ist nass und auch die Hose klebt an mei­nen Bei­nen. Die Hun­de, die sich links und rechts an mei­ne Bei­ne drü­cken, schau­en kurz fra­gend auf und ich erwi­de­re stumm, dass auch ich es nicht weiß – sehr wohl aber ahne, dass wir uns ver­lau­fen haben. Hin­ter der Bie­gung, so hof­fe ich, wird einer der neu ent­deck­ten Wege auf einen ande­ren sto­ßen – einen, den ich bereits ken­ne, bereits gegan­gen bin – und gerad­wegs zurück zum Anfang füh­ren. Ent­lang des Weges schau­keln Knö­te­rich und Ake­lei unter den schwe­ren Trop­fen und als wir näher kom­men fliegt erschro­cken eine Gold­am­mer aus dem Dickicht auf. Drei Augen­paa­re bli­cken dem klei­nen, gel­ben Punkt nach, der all­mäh­lich, irgend­wo zwi­schen Erin­nern und Ver­ges­sen, im Grau verschwindet.

Der Wes­ter­wald war­tet mit eini­gen hun­dert Kilo­me­tern an aus­ge­wie­se­nen Wan­der­we­gen auf, die kaum Wün­sche übrig las­sen. Die Wäl­der west­lich der ehe­ma­li­gen Herr­schaft Her­born – daher rührt der Name – durch­zieht ein dich­tes Wege­netz, das sich zu Fuß oder mit dem Rad erkun­den lässt, und dabei immer wie­der Fle­cken streift, die zum Ver­wei­len ein­la­den: Seen, Täler, Höhen. Wer sich hier ver­läuft, der muss es schon dar­auf anle­gen – oder von sich selbst behaup­ten, dass er bereits alles ande­re kennt. So wie ich.

Als das Grau des Weges mehr und mehr einem sat­ten Grün weicht, das sich krie­chend den Wald zurück erobert, ahne ich bereits, dass wir uns auf dem Holz­weg befin­den. Kaum ein­hun­dert Meter wei­ter endet der Weg schließ­lich in einem Meer aus Farn und Bren­nes­seln, dahin­ter bloß sump­fi­ge Rei­fen­spu­ren unter von Pil­zen und Flech­ten bewach­se­nem Tot­holz. Kurz über­le­ge ich es zu wagen, mich mit den Hun­den durch den Wald zu schla­gen, ent­schei­de aber es nicht dar­auf anzu­le­gen, eine mög­li­che Wild­schwein­rot­te beim zwei­ten Früh­stück zu stö­ren. »Wir dre­hen um«, sage ich zu mir selbst und die Hun­de fol­gen. Man­ches Mal muss man auf­ge­ben, muss man umkeh­ren, um anzukommen.

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