So ganz allmählich beginnen sich nun, mit etwa drei Wochen, die Charaktere unserer Border Collie Welpen zu entwickeln – ein Versuch, unsere Beobachtungen der letzten Tage in Worte zu fassen …

Drei Wochen, die Waa­ge blinkt und ich läch­le zufrie­den. Dem Lehr­buch ist genü­ge getan – weit mehr als ein Kilo­gramm wiegt end­lich auch der Letz­te. Wäh­rend ich gedank­lich das Geburts­ge­wicht mit drei mul­ti­pli­zie­re und ein gro­ßes Aus­ru­fe­zei­chen in den Kalen­der male, las­sen sich hin­ter mei­nem Rücken sechs quä­ken­de Fra­ge­zei­chen ver­neh­men, die blub­bernd ihre ers­te Brei­mahl­zeit zu sich neh­men. Erst nur die Nase, kopf­über hin­ein, mit den Pfo­ten quer durch den Napf, dann ein­mal feucht durch das Zim­mer. Ziel­los las­se ich den Lap­pen fol­gen, das nun also täg­lich – Prost Mahl­zeit, To the Babies und Skoal!

Ein Trink­spruch? Das »Arix« sich nicht lan­ge bit­ten lässt, beweist bereits ein Blick auf die Waa­ge: Beharr­lich besetzt er seit Tagen das obers­te Trepp­chen – man hat es bequem so weit oben, das zum einen, und zum ande­ren, bei­na­he allein, die mil­chigs­ten Zitzen.

»Lou« lässt kei­nen Zwei­fel dar­an auf­kom­men, für wen sein Herz schlägt: Die grö­ße­ren Geschwis­ter kön­nen gehen, wo der Pfef­fer wächst – dort wo »Edda« ist, da ist auch er. Eng umschlun­gen, den Kopf auf die Pfo­ten der ande­ren gestützt, fügt sich der klei­ne Bru­der in ihren Schat­ten, legt sich in jede Figur. Fast möch­te man mei­nen, bloß einen Wel­pen vor sich zu haben. Doch ganz heim­lich zit­tern die Bart­haa­re, zwei glän­zen­de Nasen kräu­seln sich und wäh­rend die eine sich seuf­zend zur Sei­te rollt, sich ihre Aben­teu­er für spä­ter auf­hebt, schaut der ande­re sich suchend um. Gemäch­lich setzt man sich in Bewe­gung, schnup­pert mal hier, stol­pert mal da, um letz­ten Endes in mei­nen Armen zu lie­gen – die Pfo­ten zu lecken, die Nase, mein Ohr.

Es schrillt. Mor­gens um vier, mit­tags um eins, abends um sie­ben: Egal zu wel­cher Stun­de, es ist immer das gleich dün­ne Stimm­chen, das mich auf­schre­cken lässt. Man möch­te mei­nen, dass es allen Wel­pen zu eigen ist, sich laut­stark zu beschwe­ren, wenn Hun­ger, Miss­mut oder Där­me sich mel­den – der eine oder ande­re tut dies wohl auch dann und wann – und ver­stummt glück­lich, ist der Wunsch erst erfüllt. Doch man­chen scheint das Gewin­sel selbst zu beglü­cken – und wenn nicht aus eige­ner Keh­le, dann eben aus der eines ande­ren, dem man kur­zer­hand, oder viel mehr: kurz­er­schnau­ze in das Schwänz­chen kneift. Schiebt sich kei­ne grö­ße­re Schnau­ze schlich­tend dazwi­schen, wird bald der nächs­te auf­ge­scheucht – bis schließ­lich alle ein­stim­men und alle auf den Bei­nen sind. Mit­ten­drin: Ein klei­ner Hund der schel­misch grinst und gegen­tei­lig glau­ben macht, dass doch nicht er für das Geschrei geta­delt wer­den muss – schrei­en tun schluss­end­lich ja die ande­ren. Wenn »Ava­lon« sich spä­ter vor mir auf den Rücken wirft, die Augen rol­len und die Zun­ge schnal­zen lässt, sich der run­de Bauch noch ein wenig mehr der gro­ßen Hand ent­ge­gen streckt, deren Fin­ger­spit­zen so süß, so schön, so schläf­rig machen, dann schweigt der klei­ne Streit­hahn, end­lich besänf­tigt, und vier klei­ne Stink­stie­fel bau­meln beson­nen nach allen Sei­ten – der kann’s nicht gewe­sen sein, nein, der bestimmt nicht.

Dann viel­leicht schon eher »Arthur« – der brummt und lässt die Tat­zen flie­gen. Letz­te­re sind, im Gegen­satz zu denen sei­ner Geschwis­ter, schon so gut koor­di­niert, dass es sich lus­tig vom einen zum ande­ren Ende der Wurf­kis­te galop­pie­ren lässt. Am ande­ren Ende näm­lich hat man ein schwarz-wei­ßes Bel­len ver­nom­men, dort, wo die Wurf­kis­te endet und ein Ding mit vier Bei­nen am Fens­ter steht (das Ding nennt sich Bett und dar­auf bel­len zwei grö­ße­re Hun­de). Da will man hin. Den kür­zes­ten Weg ver­sperrt, ver­sucht man also ver­zwei­felt ein Loch in die Wand zu lecken – Zäh­ne sind zwar im Ansatz vor­han­den, zum Bei­ßen rei­chen die­se aber längst noch nicht aus – und nach­dem man den Feh­ler bemerkt und das for­schen­de Züng­lein genug gefoch­ten hat, blickt man sich zur nied­ri­ge­ren Rech­ten um und ist kaum zwei Sekun­den spä­ter über den Rand der Wurf­kis­te geklet­tert. Ein kur­zes Wip­pen, ein wasch­ech­tes Knur­ren – und schon wedelt es wie­der, der Mut­ter entgegen.

»Liv« erin­nert am meis­ten an ihre Mut­ter. Kaum habe ich mir einen frei­en Platz zwi­schen den sich wild über­ein­an­der kugeln­den Wel­pen erkämpft, streckt sie sich mit lan­gem Hals, lässt fra­gend die Augen flat­tern, um dann mit einem kur­zen Satz über mein Knie in mei­nem Schoß zu lan­den: Sol­len sich die ande­ren doch bal­gen, man selbst liebt es warm und gemüt­lich, und da sich gera­de kei­nes der Wurf­ge­schwis­ter fin­det um als Kis­sen her­zu­hal­ten, tut es das gro­ße, glatz­köp­fi­ge Wesen alle­mal – ist ja auch viel mehr zum Anku­scheln dran.

© Johannes Willwacher